Ein Reisebericht von Siegfried Neubauer
Warum in die Ferne schweifen, werden sich die Vorstandsmitglieder des Küstriner Geschichtsvereins gefragt haben. Sollen wir nur immer das einstige Heimatland jenseits der Oder besichtigen, bleiben wir doch mal auf unserer Scholle und sehen uns an, was für Kulturschätze sich hier anbieten - und es waren nicht wenige.
Wie schon in den vergangenen Jahren scheint unser Verein bei Petrus ein Abo auf Sonnenschein zu haben, denn die Herbstsonne begleitete uns den ganzen Tag durch eine Provinz, die Friedrich der Große erobert und keinen Soldaten gekostet hatte. Nun waren wir an der Reihe, dieses gewonnene Land für uns zu entdecken. Und wenn wir mit Herrn Frischmuth aus Altreetz, dem Vorsitzenden des dortigen Geschichtsvereins, nicht solch einen kundigen Führer gehabt hätten, der uns alle an seinem großen Wissensschatz teilnehmen ließ, uns wäre manches Juwel unserer näheren Umgebung entgangen. Herr Frischmuth goß über viele Stunden sein kenntnisreiches Füllhorn über uns aus. Wir kamen aus dem Staunen nicht heraus, welch unbekannte Schätze vor unserer eigenen Haustüre liegen, die uns bis jetzt entgangen waren.
Als alteingesessene Küstriner durften wir uns natürlich nicht “unseren Sprößling” Neuküstrinchen entgehen lassen und mußten auch ihm einen Besuch abstatten. Hier war Ulrich Köhler, der Vorsitzende des Gedenkstättenvereins Neuküstrinchen, der uns mit der Geschichte seines Ortes vertraut machte.
Beeindruckend war für uns alle das Heimatmuseum mit seiner Fülle von alten Gebrauchsgegenständen, die in manchen von uns Erinnerungen an Mutters Küche, an Wringmaschine und den Vorläufer unserer supermodernen Waschmaschine weckten. Sogar eine Frontschreibstube aus dem letzten Kriege war aufgebaut. Eine Uralt- Schreibmaschine und ein Tintenfaß gehörten zum Equipment, mit denen manche Beileidsschreiben über die “Heldentode für Führer, Volk und Vaterland” verfaßt wurden. Auf dem Hof gaben sich alte landwirtschaftliche Maschinen ein Stelldichein: Strohpresse, Erntewagen, Kartoffelsortiermaschine, Rüben- und Hackepflug u.a. m. Mit ein wenig Neid betrachteten wir all diese Ausstellungstücke, sind doch in unserem Museum in Kietz nur wenige funktionable Exponate zu besichtigen.
Der nördlichste Punkt unserer Besichtigungstour war das Flutzeichen zwischen Neuranft und Oder. Es veranschaulicht symbolhaft das Kräftemessen zwischen Naturgewalt und Menschenwerk wie zwei gleichstarke Ringkämpfer, von denen keiner den anderen zu Boden zwingen kann.
Wie auch bei diesem Denkmal hätten wir uns manches mal gewünscht, uns die Objekte nicht nur durch die Fenster des Busses, sondern in unmittelbarer Nähe anschauen zu können, aber dann hätten wir aus Zeitmangel auf manche Sehenswürdigkeit verzichten müssen. Manches war wohl nur als Anregung gedacht, auf eigene Faust das Oderbruch mal selbst zu erkunden.
Als allen schon der Magen knurrte, kehrten wir beim “Alten Fritz” in Letschin ein, wo der Inhaber der Gaststätte Wolfgang Bartsch in einer eloquenten Rede uns die ganze Lebensgeschichte des Namensgebers seines Restaurants und das Versteckspiel mit der berühmten Statue Friedrichs des Großen vorstellte. Seine wortreichen Ausführungen gingen manches Mal über das Ziel einer seriösen Darstellung hinaus. Uns Mitgliedern des Küstriner Geschichtsvereins wäre weniger mehr gewesen, denn Herr Bartsch spulte seinen Vortrag ab, ohne dabei das Wissen seiner Zuhörer zu berücksichtigen.
Die Kirche in Kunersdorf war der letzte Höhepunkt unserer diesjährigen Vereinsfahrt. Herr Frischmuth erklärte uns, daß diese Kirche nicht für diesen Ort konzipiert war, sondern ursprünglich für den Außenbezirk einer Großstadt geplant war. Man hatte, da man nach dem Kriege schnell eine Kirche bauen wollte, mangels anderer Konstruktionszeichnungen auf diesen fertigen Plan zurückgegriffen.
Martin Rogge, unser Vereinsvorsitzender, hatte wieder alles vorbildlich organisiert. Ich würde mir allerdings wünschen, bei einer nächsten Vereinsfahrt nur die Sehenswürdigkeiten vorzustellen, die man auch selber in Augenschein nehmen kann, denn allein ein Blick durch das Busfenster ist fast so steril wie ein Dokumentarfilm im Fernsehen oder wie eine Sightseeing-Tour in den großen Metropolen, auf denen man nur Ansichtskartenmotive zu sehen bekommt.
Siegfried Neubauer (Ab Februar wohnhaft in 15230 Frankfurt/Oder, Leopoldufer 1)
Impressionen