Alle Stadtteile links der Warthe bildeten den Verteidigungsabschnitt Altstadt, der 5 vorgeschobene Stützpunkte (Schöpfwerk, Bienenhof, Dammeisterei, Konradshof und Weinbergshof) einschloß. Dazu gehörten die Altstadt mit der Insel, Kietz und Kuhbrücken-Vorstadt, zeitweilig auch Neu Bleyen und der Bereich der Oderdämme bis zur nördlichen Wegespinne. Entsprechend der jeweiligen Lage verschob sich hier die Grenze zwischen dem Festungsbereich und der zur HKL gehörenden Schlauchstellung in den Räumen Kietz und Bleyen. Abschnittskommandant wurde Major Otto Wegner, ein fronterfahrener Infanterie-Offizier. Die mit dem Tauwetter eingeleiteten Überschwemmungen und das Frühjahrshochwasser verwandelten die kleine Altstadt in eine Insel. Im Osten reichte das mehrere Kilometer breite Überschwemmungsgebiet von der Warthe bis zur Oder, nur unterbrochen von den Deichen und den Dämmen der beiden Eisenbahnen und der beiden Chausseen. Feldstellungen sicherten die Deiche von der Breite einer schmalen Straße. An der Chaussee nach Göritz lag der als vorgeschobener Stützpunkt eingerichtete Bienenhof, nordostwärts davon, an der Reichsstraße 114 nach Sonnenburg, sollte das Schöpfwerk die gleiche Aufgabe übernehmen. Die Altstadt befand sich innerhalb der teilgeschleiften Festung. Dieser Stadtteil bot gute Verteidigungsmöglichkeiten, wenn die Verteidiger der feindlichen Artillerie und den Luftangriffen mit den gleichen Waffen und der gleichen Intensität hätten begegnen können, was nicht der Fall war. Weitere Nachteile für die deutsche Seite ergaben sich aus der Überbebauung der Altstadt und der leichten Brennbarkeit vieler ihrer alten Häuser, zurückzuführen auf deren Holzanteile, sowie der Brüchigkeit der jahrhundertealten Kasematten, die schweren Kalibern von Bomben und Granaten nur bedingt standhielten. [23]

Das Halten der Altstädter Insel mit der Artillerie-Kaserne, einer geringen weiteren Bebauung und einer veralteten Lünette im Pappelhorst setzte voraus, daß die Altstadt, der Bienenhof und Kietz in deutscher Hand verblieben.

Der kleine Stadtteil Kietz auf dem Westufer des Vorflutkanals schützte an dieser Stelle die Versorgungstrasse Küstrins zur Nahtstelle bei Gorgast. Hier waren harte Kämpfe zu erwarten, denn die Belagerer würden versuchen, sich in den Besitz der Vorflutbrücken für Straße und Eisenbahn zu setzen, um die Festung von ihrer Nachschubverbindung zu trennen.

Bereits am 3.2. hatte eine sowjetische Kompanie das Schöpfwerk genommen. Ein deutscher Gegenangriff eroberte am 4.2 das zerschossene Schöpfwerk zurück. Doch nur für einige Stunden, um dann wieder dem Gegner für immer überlassen zu werden. Bei diesen Kämpfen hatte eine ROB-Kompanie Ausfälle in Höhe von 90 Prozent! [24]

Den deutschen Verteidigungsabschnitt in Kietz - nördlich des Ostbahndammes mit loser Verbindung zum II. Bataillon des Panzer-Grenadier-Regiments 119 der 25. Panzer-Grenadier-Division, das den Südrand der Schlauchstellung schützte - begrenzten westlich des Ortsausganges der Weinbergshof (einschließlich), nach Süden die Deutschland-Siedlung im Bereich der Lothringer- und Hessenstraße, der Konradshof (einschließlich) und die Dammeisterei (einschließlich) am Oder-Vorflutkanal. Weinbergshof, Konradshof und Dammeisterei bildeten vorgeschobene Stützpunkte, waren wegen Feindeinsicht nur nachts erreichbar und wechselten bis zum Ende mehrmals den Besitzer.

Die Altstädter Insel zwischen Oder-Vorflutkanal und Oder befand sich vollständig in deutscher Hand.

Ostwärts der Oder bildete der vorgeschobene Stützpunkt Bienenhof mit den benachbarten Gebäuden den südöstlichsten Punkt des Festungsbereiches. Wegen Feindeinsicht war er im Normalfall nur nachts erreichbar. Die nächsten deutschen Stellungen befanden sich etwa 1.200 Meter weiter nördlich. Sie sprangen zum Göritzer Eisenbahndamm über, schlossen den Bahnhof Kietzerbusch ein und endeten, weiter nördlich nach Osten abbiegend, zwischen dem Unteren See und dem Klößling.

Der Ausbau der Stellungen und der Schutz vor feindlichem Beschuß und Bomben wurde verstärkt. Daran wirkten neben Soldaten, die nicht selten nach dem Prinzip ,,kämpfen und graben" handeln mußten, vor allem Volkssturm, Zivilisten, ausländische Zwangsarbeiter aus den Betrieben und Kriegsgefangene mit. Zur Schaffung von Schußfeld und Vermeidung von Flächenbränden nahmen Pioniere in der Stadt Gassensprengungen vor. [25]

Am Südzipfel des Mittelhöfels beginnt der Oder-Vorflutkanal. Genau gegenüber, auf der Ostseite des Stromes, biegt die aus Küstrin kommende und bis dahin parallel zum Oderdamm verlaufende Chaussee ab in Richtung Göritz. Hier befand sich der Bienenhof. Im Verein mit weiteren Gebäuden distanzierte er an dieser Stelle die Belagerer auf eine Entfernung von zirka zwei Kilometer südlich der Altstadt. Der Bienenhof entwickelte sich zu einem Brennpunkt der Verteidigung. 54 Tage hielt er feindlichem Druck stand. Mehrmals wechselte er den Besitzer. Seine Verteidiger zeichnete soldatisches Können und Pflichtbewußtsein aus. Meist waren es Angehörige des Bewährungs-Bataillons 500. SS-Gruppenführer Reinefarth bezeichnete sie als ,,die beste Truppe von Küstrin". In den Morgen- und Tagesmeldungen des Festungskommandanten wurde der Bienenhof oft erwähnt: [26]

2.2.: ,,Feindvorstoß mit 5 Panzern gegen Brücke bei Bienenhof unter Abschuß von 3 Panzern abgewiesen."
7.2.: ,,Schwächerer Vorstoß bei Bienenhof abgewiesen."
9.2.: ,,Südlich Bienenhof in Stellung gehende feindliche Batterien mit guter Wirkung bekämpft."
10.2.: ,,Bataillonsstarker, von Panzern unterstützter Feindangriff brach in Bienenhof ein, wurde jedoch im Gegenstoß wieder geworfen."
11.2.: ,,Feindstoßtrupp auf Bienenhof abgewiesen. Während des Tages feindliche Fliegerangriffe auf Bienenhof."
13.2.: ,,HKL bei Bienenhof 300 Meter vorverlegt."
14.2.: ,,Feindangriff von 2 Bataillonen mit 8 Panzern nach starker Artillerievorbereitung von Süden auf Altstadt. Einbrüche im Gegenstoß beseitigt, dabei 1 Panzer abgeschossen, 2 bewegungsunfähig."
16.2.: ,,Kompaniestarke Vorstöße gegen ... Bienenhof ... ohne Erfolg."
24.3.: ,,Artillerie bekämpfte Feindbewegungen ... bei Bienenhof, wo 1 Feind-Panzer bewegungsunfähig geschossen wurde."
26.3.: ,,Kompaniestarke Vorstöße bei ... Bienenhof wurden abgewiesen."
27.3.: ,,Stützpunkt Bienenhof ging nach Ausfall fast der gesamten Besatzung verloren."

Furchtbar war das Schicksal der Bewohner, die im direkten Umland von Küstrin hinter die russischen Linien gerieten. Einzelne, die sich später auf die deutsche Seite retten konnten, brachten Kunde von den Ausschreitungen der Roten Armee, die vor allem deutsche Frauen und Mädchen trafen.

Der Mehrheit der Küstriner Bevölkerung - einschließlich und vor allem der bis 1944 vor den anglo-amerikanischen Luftangriffen hierher Geflüchteten - gelang es, rechtzeitig, spontan und nichtorganisiert die Stadt zu verlassen. Schätzungsweise 8.000 bis 10.000 Personen wurden von den Ereignissen überrollt und mit eingeschlossen. Ihre Evakuierung

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erfolgte erst nach der Bildung der Schlauchstellung und dem Abbau der wichtigsten Transportrückstände in den Nächten vom 19. bis zum 23. Februar; wider Erwarten nur mit minimalsten Verlusten. Allerdings verließen nicht alle Zivilisten ihre Heimatstadt. Bei der Erstürmung der Neustadt sollen etwa 500 bis 600 von ihnen in die Gewalt der Roten Armee geraten sein. Außerdem kamen bis zum 22.3. des nachts einige Bewohner in die Stadt zurück, um dort verbliebene Habseligkeiten zu holen. Einzelne wurden mit eingeschlossen und erlebten das Ende in der Artillerie-Kaserne und in Kuhbrücken-Vorstadt mit. Von der dritten Februar- bis zur ersten Märzdekade befahl der Kommandant auch allen Angehörigen der Hitler-Jugend, die Festung zu verlassen. Die Jungen hatten sich freiwillig zur Hilfe bei der Verteidigung ihrer Heimatstadt gemeldet, gehörten bis auf wenige Ausnahmen keiner militärischen Einheit an und waren unbewaffnet. Sie arbeiteten in der Post, taten Dienst als Melder, halfen beim Bergen Verwundeter, bei der Evakuierung von Menschen und Tieren sowie bei Transporten von Lebensmitteln und Materialien aus der Neustadt in die Altstadt oder in das Hinterland. Man schickte sie zurück, weil sie jünger als 16 Jahre waren, und um sie nicht der Gefahr der Liquidierung bei einer Gefangennahme durch die Russen auszusetzen. Zurück blieben volkssturmpflichtige Männer, Feuerwehr, Polizei, ärzte, Pflegepersonal, dienstverpflichtete Beschäftigte wichtiger Betriebe und Einrichtungen, wie Stromversorgung, Gaswerk, Wasserwerk, Kläranlage, Friedhofsverwaltung, einer städtischen Notverwaltung sowie einer Restkreisleitung der NSDAP. [27]

Der Bürgermeister von Küstrin, Hermann Körner, war gleichzeitig Kreisleiter des NSDAP-Kreises Königsberg. Er war für die Belange der Partei, des Volkssturms (der einsatzmäßig der Festungskommandantur unterstand) und der in der Stadt verbliebenen Zivilbevölkerung zuständig. Ihm oblag auch die Sicherung der in großen Mengen in der Neustadt lagernden Vorräte. Allein die in der Norddeutschen Kartoffelmehlfabrik vorhandenen Nährmittel bezifferte Körner auf einen Wert von 3,5 Millionen Reichsmark. Vieles wurde von hier in die Altstadt verlagert. Wenn die allnächtlichen Versorgungstransporte auf der Rückfahrt nicht für Personen, hauptsächlichst Verwundete, benötigt wurden, nahmen sie Vorräte aus der Festung mit. Die Zusammenarbeit zwischen Festungskommandant und Kreisleiter war gut und eng.

Aus Angst und Hoffnungslosigkeit setzten einige Bewohner Küstrins aus unterschiedlichen Schichten am 31.1. ihrem Leben selbst ein Ende. Das blieben aber Ausnahmen. Bis zur Evakuierung Ende Februar paßten Kreisleitung, Stadtverwaltung und Bevölkerung das tägliche Leben den Bedingungen der Belagerung an. Ämter und Dienststellen arbeiteten weitestgehend weiter, nur mit veränderten Aufgabenstellungen. Das reichte vom Arbeitsamt über das Gesundheitswesen, Entbindungsheim, Kinderheim, die Unterbringung Obdachloser, Post, Geldverkehr, den Hilfseinsatz durch NSV, DRK, NSDAP, Frauenschaft, Hitler-Jugend und BDM, Kfz-Zulassungen, Hilfsleistungen für Geschädigte, Ausstellung von Passierscheinen. Von 20 bis 6 Uhr galten für Zivilisten Ausgangssperren, für Ausländer von 18 bis 6 Uhr. Die Lebensmittelversorgung funktionierte. Auftretende Verteilungsprobleme versuchten Partei und Verwaltung, unbürokratisch zu lösen. Viele Bäckereien und Fleischereien arbeiteten weiter. Desgleichen Friseure, Tischlereien, Schlossereien, Installateure und Schmiede. Allerdings gehörte eines zu diesem Kriegsalltag: Die ständige Anwesenheit des Todes, der immer wieder Opfer verlangte. Vom 25. Februar an gab es in einer als Luftschutzraum genutzten Kasematte im Gelände der Jugendherberge in der Altstadt regelmäßige Filmvorführungen für bewährte Frontkämpfer. [28]

Seit dem 12.2. erschien die Notzeitung "Feste Küstrin", das Nachrichtenblatt der Festung, herausgegeben vom Festungskommandanten und der NSDAP-Kreisleitung. Gedruckt wurde sie in der Neustadt und erschien zum letzten Mal am 7. März mit der Nummer 23. Die erste Ausgabe enthielt die abgebildeten Aufrufe.

Als es nach den ersten Räumungen und verstärkt nach der Evakuierung der Bevölkerung zu Plünderungen kam, griff die Festungskommandantur hart durch und verhängte auch bei kleineren Delikten die Todesstrafe. Sie traf gleichermaßen Soldaten und Zivilisten. Am 4.2. wurden 14 Ostarbeiter erschossen. Über Standgerichtsurteile

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wegen Plünderung und Desertation berichtete die "Feste Küstrin" am 15.2. (1 Soldat Plünderung), am 18.2. (1 Soldat Desertation), am 23.2. (1 Soldat Desertation und Plünderung), am 24.2. (1 italienischer Kriegsgefangener Plünderung), am 26.2. (1 Soldat und 1 Mädchen Plünderung). Fast alle Festungszeitungen trugen anfangs den fettgedruckten Hinweis ,,Wer plündert, wird erschossen!", später ,,Wer plündert, wird erschossen oder gehängt!". Dadurch verringerten sich die Übergriffe. Dennoch beklagte der NSDAP-Kreisleiter und Bürgermeister in seinem Abschlußbericht derartige Vergehen deutscher Soldaten. Sehr oft habe er die Äußerung gehört, ,,schlimmer können die Russen auch nicht hausen". [29]

Die geschilderten Hinrichtungen blieben nicht die einzigen. Am 2. oder 3.2. hingen an den Masten der Warthe-Straßenbrücke deutsche Soldaten. Der Text der umgehängten Schilder lautete sinngemäß: ,,Ich war feige". In Kietz kam es an einem Tage zur Erschießung von 10 deutschen Soldaten. Etwa um den 20. Februar hingen zwei Wehrmachtsangehörige an einem Galgen am Kietzer Tor. Ein Schild trug die Aufschrift ,,Ich bin desertiert." Daraufhin gab es in der Festung kaum noch unerlaubte Entfernungen. Durch die Schlauchstellung war das so gut wie unmöglich, und zum Russen wollte niemand. Die Vorfälle in der Zellstoffabrik zu Beginn der Belagerung - das Erschießen der gefangenen Volkssturmmänner und das Umbringen eines Teils der Ungarn - hatten sich unter vielen Verteidigern der Festung herumgesprochen. [30]

Der Februar brachte den vollendeten Aufmarsch der Belagerer. Nach dem Ende ihrer Weichsel-Oder-Operation hatte die 1. Belorussische Front zunächst Probleme mit der Normalisierung ihres Nachschubs, dem Nachziehen schwerer Waffen und dem Einrichten von Flugplätzen in ausreichender Anzahl. Zügig löste sie diese und beseitigte sie nach der Erstürmung Posens, am 23.2., bis zum Monatsende. Wichtige westwärts führende und unter Wasser stehende Wege im Überschwemmungsgebiet zwischen Oder und Warthe wurden zu Knüppeldämmen umfunktioniert, die eine langsame Lkw-Befahrung ermöglichten. Doch kampflos blieb es deshalb in Küstrin nicht. Gegenseitige Späh- und Stoßtrupptätigkeit wechselte mit Angriffen in Zug-, Kompanie- und Bataillonsstärke. Auf den in die Altstadt führenden Dämmen lagen sich die Gegner mitunter so nahe gegenüber, daß die Geplänkel mit Panzerfäusten und Handgranaten auch nachts anhielten. Die Stärke des sowjetischen Artillerie- und Granatwerferfeuers nahm zu. Die Batterien der Belagerer schossen sich auf die Ziele in der Stadt ein. Höhepunkte der Feuerintensität waren der 15. und der 17. Februar. Speziell dafür eingesetzte Beobachter schätzten ihn am 15. auf knapp 5.900 und am 17. auf knapp 5.700 Schuß. Küstrin erlebte das gleiche Schicksal wie andere märkische Frontstädte - wie Guben und Forst an der Lausitzer Neiße - es wurde systematisch in Brand geschossen. Am 5.2. hatte Salvengeschützfeuer die ersten Flächenbrände in der Neustadt verursacht. Am 7.2. folgten weitere. Später griff das Zerstörungswerk auf die Altstadt über. Daran beteiligten sich zunehmend Bomben- und Schlachtflugzeuge. Nachdem sie in Odernähe wieder über ausreichend Flugplätze verfügte, errang die sowjetische Luftwaffe die vorübergehend eingebüßte Luftherrschaft zurück. Für die deutsche Verteidigung bedeutete das, bis auf seltene Ausnahmen ohne Unterstützung der Flieger kämpfen zu müssen. Nach Einbruch der Dunkelheit erschienen fast regelmäßig Doppeldecker der Russen, von deutschen Soldaten als "U.v.D." oder "Nähmaschine" bezeichnet. Diese Flugzeuge flogen langsam, operierten einzeln, stoppten im Zielgebiet den Motor, gingen zum Gleitflug über und warfen blind kleine Splitter- oder Brandbomben ab. [31]

Der begrenzte und nicht ungefährliche Zugang nach Küstrin erlaubte keinen Besuchsverkehr. Die Festung suchte nur auf, wer dazu den Befehl erhielt. - Zu den Ausnahmen zählten wenige Frauen sowie Soldaten, die aus dem Urlaub kamen und unbedingt zurück zu den Kameraden ihrer Einheit wollten. - Zur Lagebesprechung vor Ort erschien der Oberbefehlshaber der 9. Armee, General Theodor Busse. Gauleiter Emil Stürtz, in Personalunion auch Oberpräsident und Reichsverteidigungskommissar, kam in der Nacht vom 27. zum 28.2. zu einer Kurzvisite. Er fuhr mit dem ersten Versorgungskonvoi stadtwärts, führte Besprechungen mit dem Kreisleiter und dem Festungskommandanten und verließ die Stadt auf dem gleichen Weg, wie er gekommen war. [32]

Anfangs war Küstrin dem Armee-Oberkommando 9 direkt unterstellt. Seit dem 16.2. unterstand die Festung dem von SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Matthias Kleinheisterkamp geführten XI. SS-Panzer-Korps. Nach dem 22.3. und der endgültigen Einschließung erfolgte die Rückunterstellung unter das AOK. [33]

Wie ein fast 10 Kilometer langer Keil drängten sich Schlauchstellung und Festungsbereich zwischen die sowjetische 8. Garde- und die 5. Stoß-Armee und hinderten die 1. Belorussische Front an der Bildung eines operativen Brückenkopfes westlich der Oder, der den wichtigen Küstriner Verkehrsknoten einschloß.

Mitte Februar erhielt General Bersarin den Befehl zum Frontalangriff auf Küstrin. Zur Verstärkung teilte ihm das Oberkommando der Front 2 schwere Haubitzen-Brigaden, 1 selbständige Panzerjäger-Brigade, 1 Granatwerfer-Regiment, 1 Ponton- und 1 Brückenbau-Regiment zu. Die Schützen-Divisionen wurden aufgefüllt. Nach sowjetischen Angaben sollen die 6.000 bis 7.000 Verteidiger der Küstriner Neustadt über 102 Feldkanonen, 30 Fliegerabwehrgeschütze, 25 Selbstfahrlafetten, 10 Geschoßwerfer, 50 Granatwerfer, rund 300 Maschinengewehre und große Munitionsvorräte verfügt haben. Allerdings standen die 102 (in Wirklichkeit waren es 105) Feldkanonen fast alle außerhalb Küstrins - die schweren Kaliber im Raum Seelow, wurden von VB's in der Stadt geleitet - und konnten die Verteidiger durch Schießen im direkten Richten nicht unterstützen. Ihnen standen auf russischer Seite schätzungsweise 14.000 bis 18.000 Mann mit 700 bis 800 Geschützen und Granatwerfern aller Kaliber gegenüber. Bomber- und Schlachtflieger-Verbände sorgten aus der Luft für die Vorbereitung und Unterstützung des Sturmes. Für den Straßenkampf bildeten die Regimenter spezielle Sturmgruppen. Jede bestand aus zwei schweren Panzern IS 2, mittleren Panzern T-34, zwei 76-mm-Geschützen und einer Schützeneinheit. Sturmpioniere mit Flammenwerfern und schutzwestenähnlichen Grabenpanzern sollten den Häuserkampf unterstützen. Dafür lagen auch einige tausend erbeutete deutsche Panzerfäuste bereit. Außerdem warteten weitere Panzer und Selbstfahrlafetten auf den Einsatz. Die Führung des Angriffs oblag dem 32. Schützen-Korps unter General Sherebin. Sein Plan sah vor, ,,den Hauptstoß aus dem Raum Alt Drewitz in Richtung auf die Eisenbahnbrücken über die Warthe zu führen, um die Besatzung der Neustadt von der Altstadt abzuschneiden und zu vernichten. Für die erste Staffel des Korps waren das 1038. und das 1040. Schützen-Regiment der 295. Schützen-Division vorgesehen, für die zweite Staffel das 1368. und das 1374. Schützen-Regiment der 416. Schützen-Division. Um den Gegner von der Hauptstoßrichtung abzulenken, sollte das 1042. Schützen-Regiment einige Stunden vor Angriffsbeginn am Ost- und Südostrand der Neustadt zu aktiven Gefechtshandlungen übergehen." [34]

Parallel zur Erstürmung der Neustadt bereitete die 8. Garde-Armee General Tschuikows die Wegnahme von Kietz und das Unterbrechen der Nachschub-verbindungen zur Festung vor. Die beiden hier liegenden Regimenter der 35. Garde-Schützen-Division, ein Regiment der 47. Garde-Schützen-Division sowie 200 bis 300 Geschütze und Granatwerfer aller Kaliber wurden dafür bereitgestellt. Diese Truppen unterstanden dem 4. Garde-Schützen-Korps. [35]

Die deutsche Vorbereitung auf den feindlichen Großangriff war mangelhaft. Dieser Vorwurf betraf allerdings nur den Verteidigungsabschnitt Neustadt, der unter dem Kommando des 56-jährigen Oberst der Feldgendarmerie Walter stand. Hier gab es kein ausreichendes, sich überschneidendes Nachrichtennetz, das auch bei Ausfall eines Übermittlungsweges die Verbindung nicht abreißen ließ. Pläne, auf gegnerische Einbrüche durch Abriegelungen, taktische Umgruppierungen, Frontverkürzungen oder Rückzüge zu reagieren, fehlten. Das geschah, obwohl das Generalkommando XI. SS-Panzer-Korps am 20.2. auf den bevorstehenden Großangriff hinwies. SS-Gruppenführer Reinefarth hatte die Unterlassungen nicht abstellen lassen. Er hielt weiter an Oberst Walter fest, ohne dessen Führungsarbeit zu verbessern. [36]

Anfang März hatten beide sowjetische Armeen ihre Vorbereitungen für den Großangriff auf Küstrin abgeschlossen.

Zuvor waren die deutschen Truppen südlich Küstrin Ende Februar erneut unter starken Feinddruck geraten. Im Raum Lebus und auf dem Reitweiner Sporn kam es zu schweren und verlustreichen Kämpfen. Nördlich des Sporns, bereits im Oderbruch, bestand ostwärts der Dörfer Hathenow und Rathstock ein vorspringender deutscher Frontbogen, der östlich Rathstock bis zur Eisenbahnlinie Frankfurt - Küstrin reichte. Angesichts der deutschen Kräfteunterlegenheit bildete er für die verteidigenden Einheiten eine taktische ,,Mäusefalle". Am 2. März begradigte die sowjetische 8. Garde-Armee mit starker Panzerunterstützung die Front an dieser Stelle und setzte sich in den Besitz von Hathenow und Rathstock, wodurch sie die Tiefe des Reitwein-Lebuser-Brückenkopfes verbesserte. [37]

Während der andauernden starken Beschießung Küstrins am 5. März wurde die Straßenbrücke über den Oder-Vorflutkanal durch acht Volltreffer zerstört. Seitdem bildete die Eisenbahnbrücke die letzte feste Verbindung zwischen Kietz und der Altstädter Insel. Am 6.3. begann der Angriff auf Kietz. Nach heftiger Artillerievorbereitung gelang den sowjetischen Schützeneinheiten ein schneller Einbruch in den Südwestteil des Ortes. Danach kam es zu mehrtägigen erbitterten Häuserkämpfen unter Einsatz schwerer Waffen. Nach sechs Tagen hatten die Verteidiger wohl den gesamten Stadtteil Kietz verloren, es war ihnen jedoch gelungen, das Ziel des Angriffs - die Trennung der Festung von ihrer rückwärtigen Verbindung - zu verhindern. 300 Meter südwestlich der Vorflutkanalbrücken brachten sie die gegnerischen Sturmgruppen zum Stehen. Die Entfernung bis zur Versorgungstrasse hatte sich damit an dieser Stelle auf ein Minimum reduziert. Trotzdem fuhren deutsche Kettenfahrzeuge allnächtlich weiter von Seelow nach Küstrin über den Vorflutkanal und wieder zurück. Allerdings hatte der 10.3. zur Krise geführt und kurzzeitig für wenige Stunden die Nachschubtrasse unterbrochen, was bereits am nächsten Tag deutscherseits bereinigt wurde. Das Ende des russischen Angriffs bewirkte aber erst am 12.3. ein deutscher Gegenangriff des nur für diese Aufgabe in die Schlauchstellung verlegten Infanterie-Regiments 300 der Infanterie-Division "Döberitz" im Verein mit dem II. Bataillon/119 der 25. Panzer-Grenadier-Division. Er fügte dem Gegner in dessen erneuter Bereitstellung blutige Verluste zu, hatte aber auch starke eigene Einbußen zu verzeichnen. Die Kämpfe hörten hier nach dem 12.3. nie mehr richtig auf. Sie änderten jedoch am Frontverlauf dieser Stelle bis zum Fall der Stadt nichts mehr. Die nur wenige hundert Meter zählende Entfernung zwischen Eisenbahnbrücke und vorderster Stellung der 8. Garde-Armee blieb erhalten. [38]

Erstaunlich war, daß die Russen am 10.3. nicht erkannt hatten, wie nahe sie ihrem Ziel waren, eine eintägige Pause einlegten und nicht mit entsprechenden Kräften bereits am 11.3. ihre Erfolge aus den Vortagen auszuweiten versuchten. Über den kritischen Zustand der deutschen Verteidigung dieser Tage berichtete am 9.3. ein aus Küstrin zurückgekehrter Verbindungsoffizier des XI. SS-Panzer-Korps: ,,Die Bereinigung von Kietz ist nicht beabsichtigt, da keine Kräfte dafür vorhanden. Mit Major Hass, Kdr. Pz.Gren.Regiment 119, der persönlich in der Festung war, ist besprochen, daß die Verbindung zwischen Kietz und Pz.Gren. Regiment 119 durch Stützpunkte gehalten wird. Kietz besteht nur noch aus Trichtern und brennenden Trümmern. Am 7.3. allein verschoß der Feind neben rollenden Luftangriffen 30.000 Schuß Art. Munition im Raum Kietz. Am 7. und 8.3. fielen allein in Kietz 450 Mann durch Verwundung aus." Das Kietz verteidigende Bataillon Wetzel wurde bei diesen Kämpfen aufgerieben. Unter den Opfern war auch sein Kommandeur. [39]