Der Johannes von Küstrin

Ja – was soll ich da noch sagen ??

Nun, vor allem muss ich mich entschuldigen, nämlich beim echten Johannes, den ich ja als Kind noch kannte – ich meine natürlich sein Denkmal vor der Marienkirche.

Er blickte so streng, so ungemütlich – nein, er war nicht mein Fall ! Viel lieber ging ich die paar Schritte in den Schlosshof, wenn das Tor offenstand. Denn dort erwartete mich ein viel schöneres Denkmal: der junge Kronprinz, der spätere Große Kurfürst.

Mit einem großen schwarzen Hund, der mein ganzes Entzücken war ! Sie können es sich vielleicht vorstellen, wie meine Kindheit in Küstrin war – nicht gerade arm an kleinen Freuden, aber doch auch reich an Enttäuschungen:

Drei große Wünsche hatte ich als Kind – in dieser Reihenfolge: einen Hund, ein Fahrrad – und einen kleinen Bruder.

Zuerst hieß es dann: „Ja, gleich nach dem Endsieg !“ – Später: „Wenn der Krieg erst vorbei ist !“ und zuletzt: „Wenn dieser verdammte Krieg endlich zu Ende ist !“

Warum hat mich die Faszination für meine arme Stadt lebenslang nie losgelassen ? Dabei wurde sie auf eine harte Probe gestellt: 1968, als ich, etwas illegal und nur mit fremder Hilfe, erstmals wieder das Gelände der Altstadt betreten durfte - und meine Stadt nicht wiederfand. Ich habe stattdessen Menschen gefunden, die mich nun mein ganzes restliches Leben begleitet haben – und die ich nicht missen möchte.

Und es gibt auch immer wieder Neues aus der alten Stadt: seit ein paar Jahren beschäftige ich mich mit einer so faszinierenden wie unbekannten Persönlichkeit, mit einem Mann, der einige Jahre im Hause Hinterstraße Nr. 50 – der späteren Schulstraße – wohnte, und dessen letzter Nachmieter unser hochverehrter Horst Herrmann war: Michael Gabriel Fredersdorff, ein Musikersohn aus dem Städtchen Gartz, der dem nach Kattes Hinrichtung todwunden Kronprinzen Friedrich gezielt zugeführt wurde.

Eine nachhaltige Begegnung: Fredersdorff wurde zunächst Kammerdiener, später unentbehrlicher Berater und Gefährte des Kronprinzen, der ihn sogleich nach seiner Thronbesteigung 1740 zum Verwalter seiner Finanzen und sozusagen zum Ersten Minister machte.

Er schenkte ihm sogar ein ansehnliches Landgut, das Gut Zernikow mit drei umliegenden Dörfern, was ungeheures Aufsehen verursachte, weil solche noblen Geschenke nur an Adlige üblich waren.

Die preußische Geschichtsschreibung rächte sich, indem sie sein Wirken nach Kräften verschwieg – in vielen frühen Friedrich-Biographien wird er überhaupt nicht erwähnt – oder aber als „ganz derber Kerl, ohne alle Bildung, aus dem äußersten Winkel Pommerns“ bezeichnet.

Als Küstriner, der ein paar Häuser weiter zur Schule ging, und der bisweilen eine gewisse Marmortafel bewunderte, die nun wiederum viel mit dem Verein für die Geschichte Küstrins zu tun hat – von weiterem ganz zu schweigen ! – fühlte ich mich verpflichtet, nach allen Details dieses ungewöhnlichen Lebens zu suchen.

Ein intensiver Briefwechsel, der nach Jahrhunderten ans Licht kam, war mir sehr behilflich – es sind Kostbarkeiten dabei wie Friedrichs Brief – aus dem Felde:

Friedrich: „Du schreibst mir manchmal drei- bis fünfmal am Tage, ich kann ohnmöglich alles beantworten !“

Fredersdorff: „Falls Eure Majestät allergnädigst geruhen wollten, diesen Brief zur Gänze zu lesen…“

Das Gutshaus in Zernikow ist erhalten und sein Salon wird für noble Lesungen genutzt – es war mir eine Genugtuung, „meinem Fredersdorff“ im Juli diesen Jahres dort ein vielbeachtetes Symposion auszurichten – gemeinsam mit dem so agilen wie jungen Gartzer Bürgermeister Luca Piwodda, der mir auch hier die Ehre erweist. Seiner Stadt ging es ähnlich wie Küstrin: 1945 wurden alle Gebäude durch Feuer zerstört, und nach der Wende kam die Hälfte der Bevölkerung abhanden.

Gemeinsam wollen wir unseren Fredersdorff, meinen Küstriner, wieder präsent werden lassen – um der Stadt ihren Stolz wiederzugeben. Da wir auch den Herrn Pfarrer mit im Boot haben, sind wir guter Zuversicht – und das wäre so ungefähr das, womit sich ein alter Küstriner seine letzten Lebensjahre verschönt.

Ich danke herzlich für den wunderbaren Preis – gerade hier, ein paar Meter entfernt von dem Ort, an dem Anfang Februar 1945 meine Kindheit abrupt zu Ende ging, am Bahnhof Küstrin-Kietz - und ich danke Ihnen für Ihre Geduld.