Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Vorstandsmitglieder
und sehr geehrte Mitglieder des Vereins für die Geschichte Küstrins!
Sehr geehrte Gäste aus Polen und Deutschland!
Meine Damen und Herren!

Sie haben mir soeben eine große Freude bereitet.
Dafür danke ich Ihnen aus ganzem Herzen.

Gestatten Sie mir aus diesem Anlaß
einige persönliche Gedanken.

Die Größe meiner heutigen Freude
läßt sich nachvollziehen,
wenn sie mit dem Erwartungsstand von 1945,
dem wichtigsten Erlebnisjahr für Menschen meines Alters,
verglichen wird:

Damals konnte ich mir nicht vorstellen,

  • mein heutiges hohes Alter
    in tragbarer Gesundheit und Zufriedenheit
    zu erreichen;
  • die Beseitigung der Kriegsschäden
    im hochgradig zerstörten Deutschland und Europa noch zu erleben;
  • Bürger eines neuen, wenn auch verkleinerten,
    aber wiedervereinigten Deutschlands zu werden;
  • und die Existenz eines Johannes-Preises und seine Verleihung an mich.

Von den Städten, die ich kennenlernte,
fühle ich mich zweien besonders verbunden:
Meiner Geburtsstadt Forst (Lausitz)
und Küstrin, dessen Untergang als deutsche Stadt ich miterlebte.

In Forst verbrachte ich im Stadtteil Berge
schöne Kindheits- und Jugendjahre.
1945 traf der Krieg die Tuchstadt schwer,
und die Grenzziehung danach machte Berge polnisch.

Die Forster Schulen hatten mich
mit der Festungsstadt Küstrin
und Friedrich dem Großen
bekannt gemacht.

Ein Jahr nach Erhalt des Zeugnisses der Mittleren Reife
wurde ich Soldat,

Und auf den Tag genau ein Jahr und einen Tag darauf
beendeten zwei Rotarmisten mit vorgehaltenen Gewehren
und den Worten. „Stoj, Germane!“
meine militärische Laufbahn,
vermutlich als letzten Gefangenen des Küstriner Kessels.

Dieses Jahr und die folgenden vier in Gefangenschaft
wurden zur wichtigsten Zäsur meines Lebens.
Sie prägten meinen Charakter bis zum heutigen Tage.
Von den Abenden des 22. bis zum 26. März 1945
lag ich mit einer Gruppe Infanteristen
einige Hundert Meter vor dem Gut Alt Bleyen,
als Nahsicherung
einer zum Erdkampf eingebauten Flak.

Am Tage hatte die Rote Armee
die Schlauchstellung an der Wurzel zerschlagen,
und jetzt bildeten wir die äußerste Spitze
des Küstriner Kessels in Richtung Gorgast.

Hier sahen und hörten wir
in der Nacht vom 23. zum 24. März
den ersten deutschen Entsatzangriff
aus dem Raum Golzow,
mit dem Einbruch der Spitze in Gorgast,
seinem Festlaufen in etwa 3 Kilometer Entfernung
und dem Zurückwerfen
durch den Gegenangriff der Russen.
Alles durch den nächtlichen Feuerzauber markiert.

Damals hätte ich gern über das Geschehen,
dessen winziges Teilchen ich war,
Hintergrundwissen besessen.
Erst Jahrzehnte später sollten sich dafür
Zeit und Möglichkeiten finden.

Dabei stieß ich auf falsche
oder zweifelhafte Aussagen und Abhandlungen.

Das wurde zum Anstoß,
neben der Befriedigung der eigenen Neugierde
selbst Untersuchungen zu beginnen
und die Ergebnisse zu publizieren.
Anfallende eigene Fehler konnten – wenn auch nachlaufend –
durch Leserreaktionen korrigiert
und auf niedrigem Stand gehalten werden.
Gleichzeitig halfen Berichte weiterer Zeitzeugen,
weiße Stellen meines „Mosaiks“ zu reduzieren.

Hilfreich erwies sich dabei
der Verein für die Geschichte Küstrins
und vor allem sein Vorsitzender Martin Rogge.
Er machte mich mit weiteren Küstrin-Überlebenden bekannt
und verstand es, in seiner bescheidenen,
aber auch nachdrücklichen Art,
meine und die Interessen des Geschichtsvereins
zum Nutzen beider zusammenzuführen
und auf eine dauerhafte Parallelspur zu bringen.

Daraus entstand eine vertrauensvolle
und freundschaftliche Zusammenarbeit.
Dafür, lieber Martin, meinen herzlichen Dank.

Danken möchte ich auch allen Vereinsmitgliedern,
die dabei ihren Vorsitzenden und damit mich unterstützten.

Heute freue ich mich über meine Mitwirkung
an der wahrheitsgemäßen Beschreibung
der Küstriner Kriegschronik des Jahres 1945
besonders in vier Punkten:

  1. Am ersten Kampftag, dem 31. Januar,
    rollten die 6 Feindpanzer mit aufgesessener Infanterie durch die
    Schlageterstraße nicht allein in die Neustadt ein!
    Das Hauptrudel drang durch den Drewitzer Unterweg vor,
    und in der Dunkelheit mißglückte ein Handstreich
    sowjetischer Infanterie auf die Eisenbahnbrücke der Ostbahn.
  2. Bei der Bildung des inneren Einschließungsringes in der
    Schlauchstellung am 23. März
    fiel das Gut Alt Bleyen noch nicht in sowjetische Hand!
    Seine Verteidiger zogen sich
    erst ausgangs des 26. März
    aus Mangel an Munition und Verpflegung
    sowie drohender Einschließung
    auf Kuhbrücken-Vorstadt zurück.
  3. Falsch ist die Behauptung,
    daß der Festungskommandant seine Besatzung im Stich gelassen
    und Küstrin vorzeitig verlassen habe!
    Die deutsche HKL erreichte er in der Nacht vom 29. zum 30. März
    Im Rahmen des Ausbruchs der Restbesatzung.
  4. Falsch ist die Behauptung,
    daß die Besatzung der Festung Küstrin kapituliert habe!
    Sie gab am Abend des 28. März die Altstadt rechts der Oder auf,
    verteidigte sich am nächsten Tag im Raum
    Artilleriekaserne-Lünette D-Kuhbrückenvorstadt weiter,
    von wo sie mit den Ausbruchswilligen der Restbesatzung
    in der Nacht vom 29. zum 30. März in zwei Gruppen ausbrach.
    Und die Rote Armee besetzte erst am Morgen des 30. März
    die letzten Teile Küstrins.
    (Dabei hatte der Volkssturm den Rückzug aus der Altstadt
    als Nachhut auf dem rechten Oderufer sichern
    und danach zur linken Oderseite folgen sollen.
    Als letzteres nicht mehr möglich war,
    entschloß sich der Führer des Küstriner Volkssturms
    zur Rettung seiner Männer zur Kapitulation vor den Russen,
    die in den ersten Stunden des 29. März erfolgte.)

Leider ist es in der Geschichtsschreibung so,
daß fehlerhafte Angaben,
wenn sie zuerst formuliert und oft wiederholt werden,
nur schwer späteren Berichtigungen weichen.

Dennoch bleibe ich optimistisch,
daß sich auch in der schnellen Gegenwart
mit ihrer erdrückenden Masse
an falschen und richtigen Informationen
richtige Hinweise durchsetzen können,
wenn sie nur anhaltend, einfach und billig
den Konsumenten im Internet zur Verfügung stehen.

Ich denke,
daß der Verein für die Geschichte Küstrins
hierfür ein gutes Beispiel bietet
und wünsche ihm
Ausdauer und Kraft seiner aktiven Mitglieder
und weitere Neuzugänge.

Wahrheitsgemäße Publikationen
sind auch eine Art stiller Achtung der Menschen,
deren Schicksal mit Küstrin verbunden war und ist,
durch Mühen, Leiden und Freuden,
erlittene Wunden und vergossenem Blut,
und sie folgen dem Vorbild des schon seinerzeit
für seine Überzeugung eingetretenen Markgrafen Johann.

Meine Damen und Herren des Geschichtsvereins,
ich danke Ihnen noch einmal
für den verliehenen Johannes-Preis,
Ihnen allen, meine Damen und Herren,
ein herzliches Dankeschön
für Ihre Anwesenheit, die Anteilnahme
und das geduldige Zuhören.