Küstrin-Kietz, Mai 1992

in: Heimatkalender Kreis Seelow, 1993; Königsberger Kreiskalender 1993

Es war schon ein bedeutender Tag, der 03.10.91. Am 1. Jahrestag der deutschen Einheit erfolgte die Rückbenennung von Kietz auf den alten Namen Küstrin-Kietz. Im Kreis Seelow war es nun die zweite Ortsnamensänderung. Bereits im Januar erhielten die Neuhardenberger ihren alten Namen zurück, und nun war es endlich bei den Küstrinern soweit. Vom Zusammenbruch 1945 - 1954 hieß unser Ort Küstrin-Kietz. Dann wurde er Anfang 1954 gewaltsam auf ,,Friedensfelde'' geändert und schließlich ein halbes Jahr später auf ,,Kietz'' festgelegt. Dieses geschah alles ohne Abstimmung und ohne Befragung der Bevölkerung. Andersdenkende heimatverbundene Bürger waren massiven Drohungen der SED-Diktatur ausgesetzt. Küstrin wurde von den Kommunisten gleichgesetzt mit Revanchismus, neuen Kriegsinteressen, Störung des friedlichen Aufbaus des Sozialismus und Hetze gegen die Oder-Neiße-Friedensgrenze. 1968 ließen sie aber sowjetische Armeen durch unseren Ort Richtung CSSR fahren, um dort den ,,Prager Frühling'' niederzuschlagen. Die Kommunisten schafften es zwar, Küstrin von der Landkarte zu streichen, aber Küstrin für immer zu verdrängen gelang ihnen nicht. So blieb dann nur die nichtssagende Bezeichnung ,,Kietz'' übrig. Die Mark Brandenburg ist dafür bekannt, daß es in jeder größeren Ortschaft einen Kietz gibt.

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Ein Gruß aus Cüstrin-Kietz (Cüstrin III) im Kriegsjahr 1915

Als am 09.11.1989 die Mauer fiel, lagen sich Deutsche und Deutsche in den Armen. Eine friedliche Revolution hatte in der DDR das SED-Regime zu Fall gebracht. Die Worte Demokratie und Freiheit hatten wieder ihren gewichtigen Wert. So wurden dann Forderungen nach einer Rückbenennung von Kietz immer lauter. Am Ende des Jahres 1990 erfolgte ein Aufruf an alle Bürger des Ortes, und jeder wurde zur Abstimmung des zukünftigen Namens aufgefordert. Zur Debatte standen: 1. Kietz, 2. Küstrin-Kietz, 3. Küstrin. Über 85% der Einwohner sprachen sich für die Rückbenennung aus. Im Frühjahr 1991 wandte sich die Gemeindevertretung in einem Brief an den Ministerpräsidenten Dr. Manfred Stolpe, mit der Bitte zur Veränderung des Ortsnamens und um Finanzhilfe. Die Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg regte auch eine Rückbenennung des Küstriner Stadtteiles Kietz auf Küstrin-Kietz an. Dieses soll an die Stadt Küstrin erinnern, welche in der brandenburgisch-preußischen Geschichte eine wichtige Rolle gespielt hat. Natürlich meldeten sich daraufhin viele ehemalige Küstriner und heimatverbundene Brandenburger und ließen ihrer Freude freien Lauf. Die Rückbenennung ist ein Bekenntnis zur brandenburgisch-preußischen Geschichte, mit all den positiven und den negativen Seiten. Sie wird der Zustimmung all derer gewiß sein, die sich mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen, statt sie nicht zu beachten. Der Name Küstrin ist durch Personen und historischen Ereignissen der deutschen Geschichte hinreichend bekannt. Hier seien genannt:

  • 1455 Beginn der Herrschaft der Hohenzollern
  • Markgraf Johann, genannt ,,Hans von Küstrin'', 1535-1571 Bau der Festung
  • 1626 Gründung des ältesten Regiments der brandenburgisch-preußischen Armee
  • 1730-1732 Kronprinz Friedrich in Festungshaft
  • 06.11.1730 Hinrichtung Kattes
  • 1758 Schlacht bei Zorndorf
  • 1806 Übergabe der Festung an die Franzosen
  • 1945 Küstrin ist zur Festung erklärt und wird zu 98% zerstört

Küstrin war eins die größte Stadt im Kreis Königsberg/Nm. Das verbliebene deutsche Territorium der geteilten Stadt umfaßt die Teile: Lange Vorstadt, Kietz, Kuhbrücke und große Teile der Altstadt. Im Sommer 1991 kam dann der positive Bescheid vom Land Brandenburg und vom Kreis Seelow zur Veränderung des Ortsnamens. Unsere polnischen Nachbarn und Kommunalpolitiker in Kostrzyn (K. Neustadt) sahen darin keinen Revanchismus und hatten keine Einwände. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auch auf die Schwesternstädte Görlitz-Zgorzelec und Guben-Gubin. Es wurde der 03.10.1991 als Tag der Rückbenennung durch die Gemeindevertretung festgelegt. Um diesen Tag würdig zu begehen, bildete die Gemeindevertretung eine Vorbereitungskommission. So verlief nun der historische Festtag. Eigentlich begannen die Festlichkeiten schon am Abend des 02.10.1991. Viele kleine Leute und auch große Leute wanderten mit den schönsten Lampions durch den bereits dunklen heimatlichen Ort. Jeder war natürlich auf seine Laterne stolz! Als der Rundgang auf dem Sportplatz beendet war, wartete alles gespannt auf den großen Augenblick. Die Feuerwehr entzündete dann das große Feuer zum Fest und später löschte sie es dann fachgerecht. Am 03.10.1991 gegen 8.30 Uhr schien wohl fast alles auf den Beinen zu sein, und alle hatten das noch verhüllte Ortsschild zum Ziel. Wegen umfangreicher Bauarbeiten an der Bundesstraße 1 fand die Zeremonie in der Nähe des Bahnübergangs der Strecke nach Frankfurt a.d.O. statt. Hier trafen sich nun die Einwohner und ehemalige Einwohner, Leute aus den umliegenden Ortschaften und Gäste aus dem polnischen Kostrzyn (Küstrin-Neustadt). Bei einigen gab es ein herzliches Wiedersehen in der Heimat und so manche Freudenträne floß. Gegen 9.00 Uhr erfolgte die feierliche Enthüllung des neuen-alten-Ortsschildes-Küstrin-Kietz- durch unseren - und den polnischen Bürgermeister.

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Das neue Ortseingangsschild

Ein Fanfarenzug aus Frankfurt a.d.O. und das Blasorchester Golzow spielten dazu auf. Der engagierte Gemeindevertreter Rudi Vogt hielt eine bewegende Festrede. ,,Zunächst begrüßte er die so zahlreich erschienenen ehemaligen Küstriner, die in dieser historischen Stunde nicht fehlen wollten. Dann verwies er auf den nicht unbedeutenden Platz der Stadt Küstrin in der deutschen Geschichte und deren Untergang im 2. Weltkrieg. Den Polen trifft keine Schuld, daß Küstrin eine geteilte Stadt wurde. Denn bevor Küstrin zerstört wurde, brannten Leningrad und Warschau. Heute besteht an dieser Stelle für Deutsche und Polen die Möglichkeit, die Geschichte aufzuarbeiten und in eine gemeinsame Zukunft zu gehen''. Anschließend spielte das Blasorchester Golzow die ,,Märkische Heide''. Gegen 9.30 Uhr war im Ortsteil Kuhbrücke die Einweihung der neuen Ortstafel. Um 9.45 Uhr erfolgte am Empfangsgebäude des Bahnhofs die Enthüllung des neuen Bahnhofsschildes.

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Bahnhof Küstrin-Kietz am Empfangsgebäude

Der festliche Empfang fand im Haus der Eisenbahner um 10.00 Uhr statt. Anwesende waren: Landrat Dr. Lipfert, Delegation aus Kostrzyn mit Bürgermeister Wladyslaw Mysona, Bürgermeister umliegender Ortschaften, Gemeindevertreter, Gerhard Dewitz, Dr. Joachim Rohr und weitere Gäste. Dr. Joachim Rohr übergab ein goldenes Buch an die Gemeinde Küstrin-Kietz. Der polnische Bürgermeister Wladyslaw Mysona bedankte sich für die Einladung zu den Festlichkeiten. ,,Bei der dreitägigen Grenzöffnung im Juni 1991 führte das erste Mal ein Weg zum Nachbarn. Beide Seiten hoffen nun auf einen Aufschwung um diese, bisher vernachlässigte, Gegend zu entwickeln.'' Der deutsche Bürgermeister Waldemar Rosolowski wünscht sich nun schnelle Hilfen vom Land und vom Kreis. Erste Konzepte und Studien zur Infrastruktur, Städtebau, Märkte und Produktionsgelände wurden vorgestellt. An diesem Tag bestand auch wieder die Möglichkeit zu Bahnfahrten von Küstrin-Kietz nach Kostrzyn (Küstrin-Neustadt). Zu diesem Anlaß hatte die DR Sonderfahrkarten drucken lassen. Ein kleiner Markt mit Gastronomie und Ständen versorgte die Einwohner und deren Gäste. Am Nachmittag wurden die Kleinen zu lustigem Spiel in den Kindergarten eingeladen, wo natürlich auch Kaffee und Kuchen gereicht wurde. Viele Einwohner und Gäste nutzten den schönen Tag für ausgiebige Spaziergänge und Wanderungen durch den Ort und zur Oder. Um die Entfernungen schneller zu überbrücken, waren 2 Gespanne im Einsatz.

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Auf der Detlefsenstraße in der Altstadt

Sehr gemütlich war es auch im Anglerheim, wo die Angler zu einem Kaffeenachmittag in der Natur eingeladen hatten. Es kleine Attraktion war die Draisine des Bahnhofs. Genügend Muskelkraft erforderte deren Bewegung allerdings schon, aber etwas besonderes war die Mitfahrt dann doch. Nach langem Hin und Her wurde dann doch, nur für diesen Tag, gegen 14.00 Uhr die Oderinsel (Altstadt) zur Besichtigung freigegeben. Hier hatten bis zum 15.05.1991 die sowjetischen Truppen das Sagen, danach ist dieses Gelände weiterhin gesperrt worden. Auf der Detlefsenstraße geht es dann zur Oder. Rechts steht ehrwürdig die alte Artilleriekaserne und einige Nebengebäude. Links am Ende der Artelleriestraße befindet sich das noch gebliebene alte Bahnhofsgebäude vom Bahnhof Küstrin-Altstadt. Deutlich sind noch die Spuren der Straßenbahngleise im neueren Pflaster der beiden Straßen zu erkennen. Nahe der Odervorflutbrücke ist sogar noch 1 m Schiene im Pflaster geblieben. Die Detlefsenstraße endet mit einem verschlossenen Tor an der Oderbrücke, hier endet die B 1.

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Eine gewaltige Brücke, früher Teil der legendären Reichsstraße 1, spannt sich zwischen der Küstriner Altstadt

Der polnische Teil der Brücke besteht aus einem Stahlbetonüberbau. Auf der deutschen Seite sind 2 Teile einer Stahlfachwerkbogenkostruktion, 1 Teil ist ein Pionierbrückengerät der Wehrmacht. Hier müssen noch umfangreiche Arbeiten getätigt werden, damit der Verkehr später rollen kann. Links daneben ist die zweigleisige Eisenbahnbrücke, wo seit Ende der vierziger Jahre nur noch der Güterverkehr rollt. Beide Brücken wurden 1947, zum Teil aus den Resten der alten Brücken, wieder zusammengebaut.

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Verbinden und nicht trennen soll die am 21. November 1992 freigegebene Brücke zum Nachbarn

Die Reste der Hafenmauer der alten Oderablage sind auch noch zu erkennen. Rechts neben der Straßenbrücke steht ein beeindruckendes Naturdenkmal. Es handelt sich um eine herrlich gewachsene Eiche, 31 m hoch und über 3,50 m Umfang. Weiter entlang der Oder sind die Überbleibsel der Bastionen König, Brandenburg und Philipp deutlich auszumachen. Dort befand sich die historische Altstadt von Küstrin, heute ist es nur noch ,,grün in grün''. Zurück geht es über den Kasernenhof und vorbei an den alten Pferdeställen und der Reithalle. Erstaulicherweise sind diese doch recht gut erhalten geblieben, so daß heute noch jeder ehemalige Artillerist seine Wirkungsstätte wiedererkennen kann. Nun ist wieder die Odervorflutbrücke erreicht und links ist in einiger Entfernung das Wehr zu sehen. Dieser bedeutende Tag klang mit einem gemütlichen Festtanz für alle Generationen aus. Möge uns die bevorstehende Grenzöffnung einen wirtschaftlichen Aufschwung bringen, so daß Polen und Deutsche daran profitieren können und werden.