Der Fall der unglücklichen Menschen von Cüstrin

übersetzt aus dem Englischen
von Ralf Brockhaus und Andreas Barner, Strausberg

Vorbemerkung:
The case of the unhappy people of Custrin,
in the new-mark, in the electorate of Brandenburg,
since the invasion of the Russians in 1758
London, H. Miller 1759, 14 Seiten

Eine Flugschrift aus dem mit Preußen verbündeten Großbritannien (Konvention von Westminster, 16. 1. 1756) über die Zerstörung der Stadt Cüstrin durch russische Truppen im 7jährigen Krieg. Insbesondere wird berichtet über die Leiden der Bevölkerung mit Schilderung zahlreicher Einzelschicksale und Greueltaten der Besatzer. Am Schluß befindet sich ein Verzeichnis von Gentlemen in London in Edinburgh, die Spenden für die notleidende Cüstriner Bevölkerung entgegennehmen.

Der englische Leser wurde bisher durch die öffentlichen Zeitungen über die totale Zerstörung der Stadt Cüstrin und diverse Beispiele von Grausamkeiten durch die Russen in der Provinz der Neumark informiert.
Aber für das Sammeln von Informationen in England, Schottland und anderen protestantischen Ländern, auch zu Gunsten der unglücklich Leidenden, ist es nicht unangebracht, weitere Berichte aus weiter entfernten Gebieten zu erwähnen.
Berichte der unvergleichlichen Barbareien der Truppen, durch die die Einwohner auf die tiefste Ebene des Elends gebracht wurden.
Um die Besonderheiten davon, oder auch nur die größten Teile davon zu erzählen, wäre vielleicht genauso unnütz als auch unmöglich. Das Erwähnen einiger wird ausreichen um jeden davon zu überzeugen, unter welcher Notlage und Verzweiflung dieses Land leidet, und Mitleid bei denen hervorruft, in deren Macht es steht und die wohltätig geneigt sind Ihnen zu helfen, in gewisser Hinsicht aus dem überfluss, mit denen Gott sie gesegnet hat.

So schockierend dies auch sein mag, die öffentlichkeit könnte trotzdem darauf angewiesen sein, auch wenn es absolut wahr ist und es durch Briefe von Personen mit zweifellosem Charakter, die Augenzeugen wurden, nachgewiesen werden kann.

Zum Ende des Juni 1758 drangen die Russen in die Neumark ein und besetzten die Festung Driesen und plünderten die Städte Friedberg, Selenow, etc. Die Aufzählungen der schrecklichen Gemeinheiten und Gewalttaten die durch sie in den Orten begangen wurden wäre endlos. Der Fall des armen Herrn Sch... . könnte als Beispiel für den Rest dienen. Er war dort einer der angesehensten Einwohner von Selenow, aber nachdem er an vier verschiedenen Stellen seines Körpers gefährlich verwundet wurde, wurde alles geraubt, was er besaß. Seine Frau musste mit ansehen, wie ihr 7 Tage altes Kind zum Opfer ihrer Wut wurde und sie selbst im Wald zum Sterben gelassen wurde. Kurz gesagt, die ganze Provinz wurde trostlos und verwüstet hinterlassen und eine große Anzahl von Leuten, die vorher wohlhabend waren, sind nun ohne lebensnotwendigen Sachen und gezwungen zu betteln. Der Hochadel und auch der niedrige Adel teilen das gleiche Schicksal mit anderen. Auch die höhergestellten Damen wurden nicht ausgenommen. Viele von ihnen haben einen fürchterlichen Tod gefunden. Aber nichts kommt an die unmenschliche Behandlung heran, die der Klerus in den Orten erfahren musste. Sie schienen darauf fixiert zu sein, auf besonderer Art, das geeignete Objekt zu sein, um sie mit ihrer mehr als brutalen Wut zu überschwemmen. Deren Frauen und Töchter wurden schändlich missbraucht, die Priester im Stroh verbrannt, erschossen mit Pistolen, mit Spießen und Schwertern niedergestochen, die Gliedmassen abgetrennt und ihre Körper auf andere unbarmherzige Art zerrissen und übel zugerichtet.

Hier wäre es nun richtig, etwas über die Kosaken und Kalmücken insbesondere, die als irreguläre Soldaten in der russischen Armee dienen und das größte Unheil anrichteten, zu sagen: Aber eine Darlegung ihrer Ausrichtung, Form, Waffen, Religion, Art zu leben und zu kämpfen wurde bereits in den Zeitungen erwähnt. Es ist überflüssig es zu wiederholen. Es ist nicht erfunden, dass sich die Kalmücken von menschlichem Fleisch ernähren und besonders gierig auf kleine Kinder sind. Was sie nicht auf einmal verspeisen können, nehmen sie mit. Vor einiger Zeit wurde eine Tasche auf der Strasse gefunden, in der die Hälfte eines Kindes gefunden wurde. Und so haben viel zu viele arme Eltern ihre Kinder verloren. Einer der eigenen Offiziere sagte, „Es ist ein Zeichen Gottes Zorns gegen die Neumark, dass er diese Leute leiden lässt.

Am 14. und 15. August begann die Belagerung von Cüstrin. Ein benachbarter Herr beschreibt es wie folgt:
Am Dienstag um acht Uhr begann ein schreckliches Artilleriefeuer. Anderthalb Stunden später brannte ein gewaltiges Feuer und stieg auf wie ein Schmelzofen für 24 Stunden. Erst war es die allgemeine Meinung, dass es sich dabei um die Vororte auf dieser Seite handelte, welche der Kommandant selber entzündet hätte. Doch bald erfuhren wir von einigen russischen Offizieren, dass es die Stadt selbst war und die Vororte noch verschont blieben. Es war gewiss ein großer Fehler des Generals, dass er diese Vororte nicht selber entzündete bevor der Feind eintraf, weil der General Fermor hinter diesen einen geeigneten Schutz in den hohen Häusern fand, um seine Batterien zu errichten. Ein russischer Oberstleutnant erzählte uns, dass die erbärmlichen Schreie und das Jammern der verschiedenen Einwohner selbst bei ihm Mitleid im Herzen auslöste. Auch trug es sehr dazu bei, dass sich das Leid noch steigerte, auch entgegen der Regeln des Krieges, dass die Stadt nicht mit dem Trompetensignal vorgewarnt wurde, sondern mit einem sofortigen Angriff in Brand gesetzt wurde, aus welchem Grund aus eine große Anzahl von Menschen aufgeschreckt wurden und ohne Hab und Gut flüchten mussten. Nicht ein Wohnhaus blieb verschont. Alles fiel den Flammen zum Opfer außer einer kleinen Kapelle, die für die Garnison genutzt wurde und das Gefängnis, das sich im Wald befand. Zu der Zeit wurde eine enorme Menge an Wertgegenständen in Cüstrin verwahrt. In jedermanns Augen des Landes war es der sicherste Platz, um sein Eigentum zu sichern. Das königliche Schatzamt mit mehr als 10 Millionen Reichsmark, das Arsenal, das Archiv des Preußischen Königreiches, die wertvollsten Besitze in Gold und Silber, sowie die Kirchengüter, die aus allen Dörfern und Städten verbracht wurden, wurden in den rasenden Flammen vernichtet. Während der Belagerung dieser unglücklichen Stadt zeigte der Feind ein besonders abscheuliches Vergnügen an ihrer Vernichtung. Wenn das Feuer sich legte und die Flammen sich ein wenig legten, warfen sie unverzüglich neue Bomben und Zündsätze hinein bis es mit noch größerer Gewalt zu brennen anfing. Solche Entladungen hatten die gewünschte Vernichtung zur Folge. Großer Jubel, begleitet mit Musik, war in den Lagern der Russen zu hören. Folglich war die Hauptstadt der Neumark dem Erdboden gleich gemacht. Diese Stadt, vor ihrem bedauerlichen Untergang, hatte große, neue und stattliche Gebäude, drei Stockwerke hoch, den königlichen Palast, das Ratsgebäude für die Regierung der Neumark, das Schatzamt, etc. und war eine florierende Handelsstadt, hatte zwei schiffbare Flüsse, die Oder und die Warthe. Aber das Unglück endete nicht, die schreckliche Katastrophe von Cüstrin wurde von vielen schlimmen Ereignissen in den benachbarten Gegenden verfolgt. Das ganze Land nun bloßgelegt, wurden die nahegelegenen Dörfern, Kirchen und alles geplündert und zu Asche verbrannt. In einer der Dörfer wurden drei Einwohner getötet. In einer der anderen wurde die Hälfte der Einwohner lebendig verbrannt. Alte und Junge, kleine Kinder wurden nicht verschont, wurden mit Lanzen und Speeren in die Flammen getrieben.

Am 24. August, gegen Mittag, wurde die Belagerung von Cüstrin aufgehoben, Grund dafür war die unerwartete und glückliche Ankunft des Preußischen Königs mit 20.000 Männern. Am 25. ereignete sich der unvergessene und ruhmreiche Sieg in Zorndorf, in dem der Preußische König die russischen Streitkräfte einnahm, die aller Wahrscheinlichkeit noch mehr als 80.000 Männer fassten.

Während und nach der Schlacht setzten die Russen sieben weitere prächtige und wohlhabende Dörfer im ganzen Land in Brand. Um die Not noch zu steigern, begingen die Kosaken und Kalmücken beim Abzug die meisten ungehörten Greueltaten.

Bei dem was bereits erwähnt wurde, sollten die folgenden schrecklichen Fakten nicht ausgelassen werden. Die verängstigten Einwohner von Wilkersdorf die immer noch am Leben waren, glaubten sich zu retten, als sie in den Kirchen Zuflucht suchten und sich in diesen verschlossen. Aber die Kosaken verschafften sich mit Gewalt Zutritt und schossen, stachen und zerstückelten jung und alt.

Einige entkamen durch ihre Schnelligkeit ihrer Ferse (sprichwörtlich). In Quartschen lagen sieben ermordete Personen auf dem Boden. Unter ihnen wurde der Körper eines Lehrers (für höhergestellte junge männliche Schüler/Internat?) gefunden, gänzlich übel zugerichtet, zwei Angestellte des Gutsverwalters/Gerichtsvollziehers (Rittergutshof?), eine Mutter, die erschossen wurde und ihre Tochter, acht Jahre alt, lag neben ihr, zerstückelt, ebenso eine Frau mit Kind, aufgespießt. Ein Vater aus Camin hatte seinen erstochenen zweijährigen Sohn auf dem Arm. Der Priester von Begersdorf wurde beim Passieren der Oder durch die Kosaken eingeholt, sie befestigten ein Seil um seinen Körper und sprangen mit ihren Pferden in das Wasser, sie zogen den unglücklichen Mann durch das Wasser mit ihnen. Die Gefangenen, die sie von uns nahmen mussten leiden. Es fehlte ihnen oft an allem und wenn sie Gnade zeigten, gaben sie ihnen die Schalen der Rüben und die Krusten der groben Brote.

In Wilkersdorf, wo sie die Hälfte der Einwohner durch Feuer und Schwerter getötet haben, banden sie 45 Personen zusammen und zwangen sie an der Seite ihrer Pferde zu laufen. Unter den unglücklichen befanden sich auch ein paar Mütter mit ihren Säuglingen. Immer wenn die Wichte (auch erbärmlichen Menschen) um Brot bettelten, nahmen sie sie an den Haaren und zogen sie auf das Gras und befohlen ihnen es zu essen.

Manchmal mussten sie auf die Knie gehen und ihre Gebete aufsagen, dann schärften sie ihre Messer vor ihren Augen, welches die grausame Vorbereitung auf ihre schnelle Tötung anzeigen sollte. Wenn zum Schluss Pferde getötet wurden und das Fleisch unter ihnen verteilt wurde, ohne Brot oder Salz waren sie gezwungen davon drei Wochen zu leben, anschließend wurden sie freigelassen, eine große Anzahl von ihnen sind mittlerweile verstorben.

Und auf diese Art sind viele tausend umgekommen. Der Rest, der entkommen konnte, ist vom anständigen Zustand zu einen Staat der Not und Bettler geworden.

Es blutet jedes Herz, die Bäume, Gärten und Häuser zu sehen, in einigen Gegenden für 20 Meilen, total ruiniert und zerstört, und die Menschen brauchen Gerät und Vieh, Männer sind nicht in der Lage das Land zu bestellen.

Dies ist eine kurze und unvollständige Skizze von der derzeitigen miserablen Situation in der Neumark. Aber vielleicht wurde genug gesagt, um das Mitgefühl aller Protestanten und Christen zusammen zu führen.

Sollte jemand wünschen, mehr darüber zu erfahren, dem wird empfohlen, die Auszüge aus zwei weiteren Briefen des gleichen Themas, kürzlich erschienen von Mr. William Straban, zu lesen.

Möge Gott in seiner unendlichen Barmherzigkeit die Menschen (hier: Einwohner) in diesem und allen anderen Ländern vor solchen Feinden schützen, deren barmherzigen Taten schon große Greueltaten darstellen; und erfüllen die Hoffnung auf Belohnung für solche, die sich bei diesem Anlass gebührend verhalten (hier: denken), die Brot auf das Wasser werfen und die Herzen derer erfreuen (im Sinne von Angel auswerfen und die Leute wieder an Gott ziehen), die Gott so tief gedemütigt (auch enttäuscht) hat. Eine große Zahl derer, die am Tage des jüngsten Gerichts vor Gott stehen, werden zweifellos sagen:
Gott, wir waren am Verhungern und sie gaben uns Fleisch; wir waren durstig und sie gaben uns zu trinken; wir waren nackt und sie bekleideten uns; wir waren krank und in Gefangenschaft und sie besuchten und kamen zu uns. Und dann soll der König (Allmächtige) antworten und ihnen sagen:
Wahrlich, ich sage Euch, was Du jedem einzelnen meiner Brüder getan hast, hast Du auch mir getan.

Das ENDE

Spenden nehmen folgende Herren entgegen:
Henry Uhthoff, Esq (Esquire (Höflichkeitsfloskel nach dem Namen, „Herr"))
Henry und John Shiffner, Esqrs (Esquires)
Samuel Wilson und Söhne, Esqrs (Esquires)
Nathanael Voogt und (des Cotes (franz. Nachnahme???)) Esqrs (Esquires)
Paul Amsinck, Esq (Esquire)
Händler in London

In Schottland:
William Hogg und Sohn, Esqrs (Esquires)
Händler bei Edinburg

england 2

Festpostkarte von 1932 zur 700-Jahrfeier Küstrins