Eine militärhistorische Zusammenfassung

Fritz Kohlase

 

Von den im Zweiten Weltkrieg schwer getroffenen deutschen Städten weist Küstrin einige Besonderheiten auf:

  1. wurde 1945 für seine Niederkämpfung und Eroberung durch die Rote Armee zweimal ein Dankbefehl Stalins im Rundfunk verlesen und anschließend in Moskau Ehrensalut geschossen.
  2. erwähnte die DDR-Ausgabe der "Erinnerungen und Gedanken" Marschall Shukows, des berühmtesten sowjetischen Feldherrn des 2. Weltkrieges, die Eroberung Küstrins nicht, obwohl zwei Armeen seiner Front den Erfolg erzielt hatten. Nach der deutschen Kapitulation gab Shukow jedoch den Befehl zur Errichtung von drei Denkmälern, die an den Siegesweg der von ihm geführten 1. Belorussischen Front längs der Reichsstraße 1 erinnern sollten: In Küstrin auf der Bastion König, in Seelow und in Berlin-Tiergarten.
  3. brachte es General Bokow, der Politstellvertreter des Oberbefehlshabers der 5. sowjetischen Stoß-Armee, die Küstrin-Neustadt eroberte, bis zu seinem Tode nicht fertig, den Lapsus einer in Teilen unrichtigen Erfolgsmeldung in der DDR-Ausgabe seiner Memoiren zu erwähnen.
  4. Obwohl die Entfernung zwischen der eingeschlossenen Restbesatzung Küstrins und der HKL nur 8 Kilometer betrug, war die deutsche Wehrmacht Ende März 1945 trotz zweimaligen Versuches nicht mehr in der Lage, die Einschließung der Roten Armee von außen her aufzubrechen.
  5. Unterschiedliche Lagebeurteilungen über den Raum Küstrin führten zu Differenzen Hitlers mit dem Generalstabschef des Heeres. Bei der letzten Auseinandersetzung am 28.3. über den am Vortag mißlungenen zweiten Entsatzangriff zur Rettung Küstrins entließ Hitler daraufhin Generaloberst Guderian zu einer längeren Kur. Und das 5 Wochen vor dem Ende in Berlin und knapp 6 Wochen vor der deutschen Kapitulation! - Für Guderian ein unerwarteter Glücksfall vor dem Finale eines Untergangsszenarios.

In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs beeinflußten vier Faktoren entscheidend den Untergang der damals unzerstörten, kleinen deutschen Industrie- und Garnisonsstadt, die beiderseits der Warthemündung in die Oder lag:

  1. Teil der deutsch-sowjetischen Front zu werden, an der sich die größten und blutigsten Schlachten des Krieges abspielten.
  2. Seine Bedeutung als Eisenbahn- und Straßenknoten.
  3. Ein wichtiges Bollwerk der letzten deutschen Front vor der Reichshauptstadt Berlin zu werden.
  4. Das Verhalten der Roten Armee gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung, das durch seine Unmenschlichkeit den deutschen Widerstand zusätzlich motivierte. (Innerhalb Ostdeutschlands erlitt Ostbrandenburg prozentual die höchsten Bevölkerungsverluste!)

Als der Sturmlauf der sowjetischen Armeen an der brandenburgischen unteren Oder Anfang Februar 1945 sein Ende fand, begann hier ein 10 Wochen dauerndes Ringen. Es endete am 14. April mit dem russischen Aufklärungsangriff zur Schlacht um die Seelower Höhen, einer Teiloperation der Schlacht um Berlin.

In der Zwischenzeit versuchte die Rote Armee, geeignete Ausgangsstellungen für diese Großoffensive zu erkämpfen, womit die Bildung eines durchgehenden Brückenkopfes in operativer Tiefe westlich der Oder zwischen Frankfurt und Wriezen gemeint war.

Die deutsche Wehrmacht bemühte sich um die Vereitelung dieses Zieles. Sie wollte die Ausdehnung der gegnerischen Anfangsbrückenköpfe verhindern, sie sukzessiv einengen, nach Möglichlichkeit sogar zerschlagen und damit das Westufer der Oder auf der gesamten Länge wieder unter deutsche Kontrolle bringen. Dazu stützte sich das hier befehlsführende Armee-Oberkommando 9 auf zwei eigene Brückenköpfe auf dem Ostufer, auf Frankfurt im Süden und das etwa 30 Kilometer stromabwärts liegende Küstrin im Norden. Beide Städte waren in der letzten Januardekade zu Festungen erklärt worden.

Geographische Bedingungen und Infrastruktur ließen zwischen Frankfurt und Wriezen drei Schwerpunkte entstehen: Den Raum Lebus mit dem Reitweiner Sporn - einen schmalen und bis zu 60 Meter das Umland überragenden Ausläufer des Lebuser Höhenlandes - Küstrin, sowie das sich zwischen dem Reitweiner Sporn und der Alten Oder bei Güstebiese erstreckende Oderbruch.

Hier standen sich im brandenburgischen Oderland zwischen der Mündung der Lausitzer Neiße und dem Hohenzollernkanal die deutsche 9. Armee unter General der Infanterie Theodor Busse und die sowjetische 1. Belorussische Front unter Marschall Georgi Shukow gegenüber. Letztere hatte gleichzeitig Schneidemühl und Posen zu erobern und mit ihren beiden Panzer- sowie vier allgemeinen Armeen - gemeinsam mit Teilen der 2. Belorussischen Front - die in Pommern operierenden deutschen Armeen zu bekämpfen.

Am 19. Februar umfaßte die 9. Armee mit dem V. SS-Gebirgs-Korps, dem XI. SS-Panzer-Korps und dem CI. Armee-Korps insgesamt 2 Panzer-Grenadier- und 6 Infanterie-Divisionen sowie die Festungsbesatzungen von Frankfurt und Küstrin. Die Gegenseite verfügte mit der 33. und der 69. Armee, der 8. Garde- und der 5. Stoß-Armee über insgesamt 1 Panzer-Korps und 31 Schützen-Divisionen. 6 weitere Schützen-Divisionen band zu dieser Zeit noch die Erstürmung Posens. Zahlenmäßig war die deutsche Seite etwa 1:3 unterlegen. ähnliches traf auf die Anzahl der Geschütze und Granatwerfer zu. Bei Panzern und Sturmgeschützen war die Differenz geringer. Erschwerend für die deutsche Seite wirkte sich der Mangel an Granaten aus. Das ungünstigste Kräfteverhältnis herrschte ab Mitte Februar in der Luft bei den Fliegern. [1]

Der bereits in geringer Tiefe Grundwasser aufweisende schwere Oderbruchboden wird in der Zeit des Tauwetters matschig und bei starker Belastung grundlos. Viele Gräben und kleine Flußläufe durchziehen das Oderbruch. Zwischen Reitwein und Wriezen war das Gelände eben, kaum bewaldet und bot vor Feindeinsicht wenig Schutz. Aus den Einzelgehöften und Ortschaften entwickelten sich wichtige Stützpunkte. Das Oderbruch, der Reitweiner Sporn und der Raum Lebus wurden zu Schauplätzen erbitterter Gefechte.

Das Schicksal machte diese Gegend an der unteren Oder zwischen der Mündung der Lausitzer Neiße im Süden und dem Hohenzollernkanal im Norden, im Westen die Seelower Höhen einschließend, zur umkämpftesten Weltkriegsregion des heutigen Deutschlands. Hier verlor die Rote Armee vom 31. Januar bis zum 18. April 1945 weit mehr als 50.000 Gefallene, 100 - 150.000 Verwundete und über 1.000 Panzer, Sturmgeschütze und Selbstfahrlafetten. Auch die deutschen Verluste waren schwer, wenn auch geringer als die sowjetischen. [2]

Küstrin liegt an zwei Flüssen, der Oder und der Warthe. Es ist eine Stadt mit Geschichte, besonders in militärischer Hinsicht. Bekannt wurde sie als brandenburgische Festungsstadt. Bis zum Ende der Befreiungskriege 1813/14 vor allem ihrer Stärke wegen. Kriegerische Auseinandersetzungen hatte sie sowohl mit Ruhm, als auch mit Schande überstanden. Die eigentliche Festung umfaßte die Altstadt. Von 1860 bis 1873 wurden zum Schutz der Oder- und Wartheübergänge die Lünetten B, C und D sowie das "Neue Werk" errichtet. Zwischen 1883 und 1890 folgte ein äußerer Verteidigungsgürtel mit den Forts Gorgast, Zorndorf, Säpzig und Tschernow. Der technische Fortschritt setzte im 19. Jahrhundert bei der Artillerie hinsichtlich Reichweite und Zerstörungskraft neue Maßstäbe, ließ die Festung von der Anlage her veralten und Küstrin bis 1888 in die Reihe der drittrangigen deutschen Festungen treten. Das faktische Ende kam in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als ein Teil der Befestigungen bis Ende 1932 der Schleifung verfiel - in geringem Umfang vor dem Ersten Weltkrieg aus wirtschaftlichen, vor allem verkehrsbedingten Gründen, und mit starken Eingriffen durch den Friedensvertrag von Versailles. Ausgewählte, gegen Nordosten gerichtete Wälle, Toranlagen, Bastionen sowie Ravelins der Altstadt wurden abgerissen und Wassergräben zugeschüttet oder verändert. Und alles desarmiert! Damit war Küstrin keine Festung im eigentlichen Sinne mehr. Dennoch blieb es eine wichtige Garnisonsstadt. Seine militärische Bedeutung nahm nach 1933 wieder zu. Seine Lage an Oder und Warthe, in Verbindung mit ausgedehnten Überschwemmungsgebieten, machten die Stadt mit den verbliebenen Befestigungen auch weiterhin zu einem potentiellen Verteidigungsknoten. So war es 1944 folgerichtig, wenn die Überlegungen des Generalstabs des Heeres für den Fall eines Zusammenbruchs der deutschen Front an der Weichsel und die Errichtung einer neuen Verteidigungslinie an der Oder auch Küstrin - eines der beiden Tore nach Berlin von Osten her - zu deren Eckpfeilern gehören sollte und innerhalb der e-Linie zur Ausrufung als Festung vorgesehen wurde. Trotzdem waren hier, wie auch an anderen Orten, die seit Herbst 1944 durchgeführten Vorbereitungen erstaunlich gering. Energische Aktivitäten setzten erst ein, als die Russen bereits nördlich der Warthe auf den Raum Küstrin zurollten. [3]

Das Warthebruch reichte im Osten und Süden bis an den Stadtrand Küstrins. Bei Hochwasser entstand zwischen Küstrin-Altstadt, Warthe und der Oder ein kilometerweites Überschwemmungsgebiet. Trockene und sichere Passiermöglichkeiten boten dann nur die Deiche sowie die Dämme für Straßen und Eisenbahnen.

Der Stadtteil Kietz und Kuhbrücken-Vorstadt lagen westlich des Oder-Vorflutkanals, zwischen diesem und der Oder folgte die zur Altstadt gehörende Insel, zwischen Oder und Warthe die Altstadt und nördlich der Warthe die Neustadt als größter und modernster Stadtteil. 1939 lebten in Küstrin 23.800 Einwohner (ausschließlich des Militärs).

Damals war Küstrin ein wichtiger Verkehrsknoten. Hier kreuzten sich zwei wichtige Schnellzuglinien, die Ostbahn von Berlin nach Ostpreußen und von Breslau nach Stettin. Die Stadt war der Ausgangspunkt weiterer Bahnlinien und hatte vier Bahnhöfe. Hier schnitten sich die Reichsstraßen 1 (Aachen - Berlin - Königsberg in Ostpreußen) und 112 (Forst - Altdamm). Die Reichsstraße 114 (über Schwerin an der Warthe nach Posen) sowie die Chaussee nach Frankfurt über Göritz nahmen hier ihren Anfang. Allein zur Überwindung der Wasserläufe gab es im Stadtgebiet 10 Eisenbahn- und Straßenbrücken. Bis zum Berliner Stadtzentrum betrug die Entfernung 90 Kilometer.

Mit Beginn der sowjetischen Großoffensiven an der Weichsel und in Ostpreußen, vor allem aber seit dem 20. Januar 1945 - der Auslösung des Stichwortes "Gneisenau" - kamen, anfangs mit der Reichsbahn und später auf den Reichsstraßen 1 und 114, große Flüchtlingsströme in die Stadt, die sie durchfuhren oder nach kurzer Rast in Richtung Westen wieder verließen. Zunehmend unterbrach Militär in oft nur kleinen und kleinsten Gruppen die Trecks auf den Reichsstraßen.

Die für die Betreung der Flüchtlinge verantwortliche NSV, das Rote Kreuz und weitere Helfer versuchten Tag und Nacht, das furchtbare Elend etwas zu lindern.

Alles ging bei eisigen Temperaturen bis minus 20 Grad vor sich. Das Land lag unter einer dichten Schneedecke.

Am 25. oder 26.1.1945 wurde Küstrin zur Festung erklärt. Das bedeutete seine Verteidigung bis zum äußersten. Für den Festungskommandanten stellten sich anfangs drei Hauptaufgaben:

  1. Das Formieren einer Festungsbesatzung aus den in der Küstriner Garnison vorhandenen Ausbildungs- und Ersatz-Einheiten, Urlaubern, Genesenden, sich zurückziehenden Einheiten, aufzufangenden Versprengten sowie dem Volkssturm. Dabei mußte fehlende Infanterie durch Angehörige anderer Waffengattungen ersetzt werden.
  2. Das Anlegen von Verteidigungsstellungen, was infolge der Kälte und des gefrorenen Bodens auf große Schwierigkeiten stieß.
  3. Die Vorbereitung auf den in den Raum Küstrin vorstoßenden Feind.

Bereits am 24. Januar war das Volkssturm-Bataillon Hinz (Leiter der Küstriner Berufsschule) erneut alarmiert und nach Eintreffen der Kompanien aus Neudamm und Königsberg mit der Bahn nach Trebisch, nordwestlich von Schwerin transportiert worden. Unbewaffnet! Die für dort versprochenen Waffen gab es nicht. Die vorgesehenen Stellungen waren bereits anderweitig besetzt. Klare Befehle für das Bataillon wurden nicht empfangen. Deshalb befahl der Bataillonsführer aus eigenem Ermessen am 30.1. den Rückmarsch nach Küstrin. Zu Fuß und mit der Bahn erreichte es am Abend des 31.1. über die Sonnenburger Chaussee wieder seinen Ausgangsort. [4]

In Küstrin wurden die Brücken über Warthe und Oder in Sprengbereitschaft versetzt. Zusätzliche Wachen filterten an der Oderbrücke aus den Flüchtlingsströmen Soldaten heraus und führten sie in Auffangstellen in der Artillerie-Kaserne, wo ihre Eingliederung in neuaufzustellende Einheiten erfolgte. Die wenigen Männer unter den Zivilisten wurden ebenfalls oberflächlich auf Wehrfähigkeit oder Einsatz beim Volkssturm kontrolliert. Kommandos der Felgendarmerie arbeiteten sich mit dem gleichen Auftrag auf der Ausfallstraße Richtung Alt Drewitz vor. Damit sollten an der "Auffanglinie Oder" Flüchtende oder Versprengte der Wehrmacht aufgehalten, und der Fluß der zivilen Trecks besser kanalisiert werden, weil sie militärische Bewegungen beeinträchtigten. Dabei griff die Feldgendarmerie rigoros durch und erhängte in der Schlageterstraße vier deutsche Soldaten. [5]

Obwohl die Festungskommandantur richtige Schritte eingeleitet hatte, mangelte es ihr an Eigeninitiative. In einer Zeit, in der die deutsche Führung vorübergehend die Übersicht verlor, hätte sie auf noch existierenden Telefonnetzen das Vordringen der Russen erfragen können und Küstrin in höchsten Alarmzustand versetzen müssen. Denn in diesen Tagen gehörten die Fräulein vom Fernamt nicht nur zu den gutorientierten, sondern auch zu den pflichtbewußt ausharrenden Deutschen. So lautete am 30. Januar abends gegen 22 Uhr die vielleicht letzte Antwort der Soldiner Kollegin auf die Anfrage aus dem 40 Kilometer entfernten Küstrin: ,,Ja, wir sind erledigt, der Russe liegt vor uns im Wald, morgen früh kommt er, wir haben nichts zur Verteidigung, nichts kann uns mehr helfen - lebt wohl, lebt wohl!" [6]

Zwischen dem 30. Januar und dem 2. Februar gab es im Raum Küstrin zwei von der Stadt unabhängige Ereignisse, die die vielfältige Aura dieser apokalyptischen Tage mitprägten:

  • Am 30. Januar beging die Gestapo im 14 Kilometer ostwärts Küstrin gelegenen Zuchthaus Sonnenburg ein furchtbares Massaker. Hier befanden sich über 1.000 Gefangene aus verschiedenen Ländern. Spätabends erschien ein knapp 20 Mann starkes, motorisiertes Sonderkommando aus Frankfurt und erschoß innerhalb von vier Stunden 819 zuvor karteimäßig ausgesuchte Häftlinge. 5 weitere Gefangene überlebten schwerverletzt und konnten am 2. Februar von Sonnenburg einnehmenden Rotarmisten gerettet werden. [7]
  • Im deutschen Lazarett in Tamsel, 7 Kilometer nordostwärts Küstrin, blieben am 2. Februar die Rotekreuzschwestern und einige der Ärzte freiwillig bei den nicht mehr abzutransportierenden Schwerverwundeten zurück und gerieten mit diesen in sowjetische Gefangenschaft! [8]

Die Bildung eines Brückenkopfes auf dem Westufer der Oder war im Januar 1945 das wichtigste Ziel der 1. Belorussischen Front in der Neumark. Auf diesem Weg ließen die starken Vorausabteilungen der 5. Stoß-Armee und 2. Garde-Panzer-Armee Landsberg und Küstrin, wo sie mit Widerstand rechneten, links liegen und suchten den direkten Weg zur Oder bei Kienitz. Am Morgen des 31. Januar 1945 überquerten sie den mit einer dicken, allerdings nicht panzertragenden Eisschicht bedeckten Strom und besetzten das am linken Ufer liegende Dorf. Zur Sicherung gegen eventuelle deutsche Störangriffe aus dem Raum Küstrin stieß ostwärts der Oder die 219. Panzer-Brigade, der das im Brückenkopf Kienitz zurückgelassene Schützen-Bataillon fehlte, mit aufgesessener Infanterie in Richtung Küstrin vor. Im Verein mit der 19. mechanisierten Brigade und dem 347. schweren Selbstfahrlafetten-Regiment des gleichen Korps versuchte sie, die Neustadt aus der Bewegung zu nehmen. Am frühen Nachmittag des 31. Januar drangen 15-20 Panzer in zwei Rudeln (5 durch die Schlageterstraße und 10-15 durch den Drewitzer Unterweg) völlig überraschend von Alt Drewitz her in die Neustadt ein. Am Nordende der Schlageterstraße stießen sie auf eine deutsche Sicherung. Auf jeder Seite hatte sich eine Gruppe Panzergrenadiere eingegraben. Zum Panzer-Grenadier-Ersatz-Bataillon 50 gehörend, bestanden sie aus zwei Wochen zuvor einberufenen blutjungen Rekruten mit erfahrenen Gruppenführern. Während vier Panzer mit aufgesessener Infanterie in großer Geschwindigkeit weiterfuhren, stoppte der fünfte, und seine Schützen sprangen ab. Nachdem der Unteroffizier einen Russen erschossen hatte, fiel er selbst einem MPi-Feuerstoß und die geschockten 10 Männer seiner Gruppe Genickschüssen zum Opfer. Die zweite deutsche Gruppe auf der anderen Straßenseite, Zeuge des Vorgangs, schoß mit der Panzerfaust dem Panzer eine Kette ab, erledigte die flüchtenden Russen mit dem MG und die im Innern des Panzers durch eine hineingeworfene Handgranate. Das war die erste Feindberührung Küstrins. Die vier durchgebrochenen Panzer erreichten ihr Ziel, die Straßenbrücke über die Warthe nicht, obwohl sie bis zum Stern vordrangen, Schäden und Verwirrung verursachteten, sich aber danach wieder zurückzogen. In der Plantagenstraße verloren sie zwei weitere, mit Panzerfäusten abgeschossene Kampfwagen amerikanischer und britischer Herkunft, einige tote sowie mehrere in der Nähe gefangene Rotarmisten. Das größere Panzerrudel hielt sich zurück, vernichtete nahe der Angerstraße eine deutsche 3,7-cm-Flak samt Bedienung und büßte einen vorgeschickten Panzer ein, der vor der Zellstoffabrik umkippte. Der feindliche Panzereinbruch offenbarte die mangelhafte Küstriner Verteidigungsvorbereitung, obwohl die Festungskommandantur bereits vor diesem Zeitpunkt über die feindliche Brückenkopfbildung in Kienitz informiert war! Denn eine gute Stunde vor der ersten Feindberührung in der Neustadt hatte Major Weikl, der Kommandeur des in Küstrin stationierten nordkaukasischen Einsatz-Bataillons, vom Festungskommandanten Befehl erhalten, sich Richtung Kienitz in Marsch zu setzen und dort die Führung von zwei Bataillonen zum Einsatz gegen den russischen Brückenkopf zu übernehmen. In der abendlichen Dunkelheit des gleichen Tages mißglückte ein Handstreich sowjetischer Infanterie auf die untere Eisenbahnbrücke über die Warthe. Nur Minuten vor den Russen trafen Teile einer infanteristisch eingesetzten deutschen Flak-Kompanie am Bahndamm ein und konnten den zum Sprung auf die Brücke ansetzenden Gegner abwehren, während direkt in ihrem Rücken nichtbeleuchtete Züge aus dem Hauptbahnhof in die Altstadt und weiter über die Oder fuhren. Die rechtzeitig eingetroffene Flak-Kompanie hatte bis zum Abend in Tamsel die Reichsstraße 1 gesichert und "Königstiger" der Division "Woldenberg" erwartet. [9]



  
Am folgenden Tag, dem 1. Februar, wurde das 1. mechanisierte Korps des Generals Kriwoschein in zwei Richtungen aktiv. Teilkräfte bildeten ostwärts Genschmar einen Brückenkopf im Kalenziger Bunst. Seine 219. Panzer-Brigade, ohne das im Brückenkopf Kienitz zurückgelassene Schützen-Bataillon, die 19. mechanisierte Brigade und das 347. schwere Selbstfahrlafetten-Regiment, wandten sich gegen die Küstriner Neustadt. Sie besetzten die Höhenschwelle beiderseits der Chaussee nach Zorndorf. Am Morgen beschossen Selbstfahrlafetten und Panzer Züge und sichtbare Industrieobjekte. Zerstörungen sollten in der Stadt Verwirrung stiften. Aufgrund der schlechten Erfahrung des Vortages handelten die Russen vorsichtiger und verzichteten auf einen direkten Einbruch in die Stadt. Nur von Alt Drewitz aus drang ein Stoßtrupp längs des nördlichen Wartheufers in die Zellstoffabrik ein und brachte sie in seine Hand. Als sich am Abend das 1. mechanisierte Korps der 2. Garde-Panzer-Armee aus dem Raum Küstrin zurückzog, weil es umgruppiert wurde, hatte es der Stadt die ersten Zerstörungen zugefügt und gezwungen, von jetzt an unter erschwerten Bedingungen, daß heißt, unter ständiger Feindeinwirkung, zu handeln. Schäden entstanden neben anderen in der Oder-Hütte, an der Stromversorgung und im Gaswerk. Ein Gasometer geriet in Brand. Rauchwolken und Flammen der beiden brennenden Petroleumtanks - deutscherseits in Brand geschossen, um sie feindlicher Nutzung zu entziehen - glichen einem Fanal des bevorstehenden Untergangs der zur Festung ausgerufenen Stadt. Doch die wenigsten Augenzeugen empfanden es so. Die Angreifer hatten zwei wesentliche taktische Erfolge erreicht:

  1. setzten sie sich in den Besitz der Höhe 63, ,,die Einblick in die gesamte Festung gewährte,"
  2. nahmen sie die Zellstoffabrik, die von einer ungarischen Kompanie und einem Zug Volkssturm verteidigt wurde. Die Ungarn streckten die Waffen. Einige von ihnen wurden erschlagen, andere erschossen, weitere nur entwaffnet. Die Volkssturmmänner, in Zivilkleidung mit der Armbinde "Deutscher Volkssturm - Wehrmacht", sollen von Rotarmisten erschossen worden sein. [10]

In der Nacht vom 1. zum 2. Februar drangen die Russen überraschend in Warnick ein, brachen bis zu dessen westlichen Teil Lagardesmühlen - der nahtlos in die Warnicker Straße Küstrins überging - durch, und setzten sich hier fest.Dabei fielen ihnen von den wenigen deutschen Geschützen in Küstrin drei französische Feldgeschütze einer erst in Stellung gegangenen Ausbildungs-Batterie in die Hände. Deutsche

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Gegenangriffe in den Folgetagen blieben ohne Erfolg. [11]

Entweder am 1. oder 2.2. schob ein verlustreicher Angriff von Honveds, die zu einem in der Infanterie-Kaserne liegenden ungarischen Bataillon gehörten, die deutsche Front bis in den Südostteil von Alt Drewitz vor, wo ihre vorderste Ausbuchtung etwa 300 Meter südlich der Kirche begann. Als am Vormittag des 2.2. infanteristisch eingesetzte deutsche Flakartilleristen in einem rücksichtslosen Angriff die Zellstoffabrik zurückeroberten, kämpften die hier eingeschlossenen Russen mit Ausnahme eines Sechzehnjährigen bis zum letzten und ergaben sich nicht. Die folgenden 12 Stunden sind bis heute nicht völlig geklärt, denn der Zug Flakartilleristen, der die Fabrik gestürmt hatte, zog sich wieder auf seine Ausgangsstellung am Bahndamm zurück. Erst in der Nacht vom 2. zum 3.2. besetzte ein von Nordosten, vom Drewitzer Unterweg her vorgehender Zug der ROB-Kompanie des Panzer-Grenadier-Ersatz-Bataillons 50 die Zellstoffabrik und traf hier auf eine größere Gruppe nicht abwehrbereiter, weil waffenloser ungarischer Soldaten und etwa 20 tote Ungarn. Von diesem Tage an begann eine organisierte Verteidigung des Fabrikgeländes, bis sie in der ersten Märzdekade im Zuge der Erstürmung der Neustadt durch die Rote Armee endete. [12]

Die Ereignisse von Kienitz und der überraschende Feindeinbruch vom 31.1. in die Küstriner Neustadt verstärkten und beschleunigten die eingeleiteten Maßnahmen der Festungskommandantur. Militärischer Kriegsalltag setzte sich durch. Am 2. Februar löste SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Heinz Reinefarth Generalmajor Adolf Raegener als Festungskommandanten ab. Dieser übernahm zunächst die Führung der Alarmeinheiten zwischen dem Reitweiner Raum und nördlich Frankfurt (Oder). Raegener - nach einer schweren Verwundung mit Beinprothese - hatte sich Ende 1944 freiwillig wieder zum Fronteinsatz gemeldet und war erst wenige Tage vorher nach Küstrin gekommen.

Ursprünglich sollte die aus dem Elsaß zugeführte 25. Panzer-Grenadier-Division von Küstrin aus zur Vorwärtsverteidigung nach Osten übergehen. Die Ereignisse des 31. Januar veränderten diesen Auftrag. Die bereits auf dem Neustädter Güterbahnhof in der Entladung befindliche erste Einheit zog sich wieder auf das Westufer der Oder und aus dem Festungsbereich zurück. Zuvor hatte sie sich noch an der Vernichtung der ersten sowjetischen Panzer beteiligt. [13]

Am 2. Februar endete nach Abschuß von 3 Feindpanzern im Raum Bienenhof ein sowjetischer Vorstoß auf die Altstadt von Süden.

Am gleichen Tag gelang es Truppen der 1. Belorussischen Front, die Oder auch südlich Küstrin, im Raum Göritz, zu überqueren. Bis zum Abend bildete die 8. Garde-Armee kleine Brückenköpfe mit der 57. Garde-Schützen-Division bei Reitwein, der 79. Garde-Schützen-Division bei Wuhden und mit der 47. Garde-Schützen-Division bei Neu Rathstock mit der Angriffsrichtung Neu Manschnow - Manschnow sowie 2 Regimentern der 35. Garde-Schützen-Division, die gegen Küstrin-Kietz angesetzt wurden. Bereits einen Tag später erfolgte die Vereinigung der kleinen Brückenköpfe zum Reitweiner, der sich im Laufe des Monats zum Reitwein-Lebuser Brückenkopf erweiterte. Am 3.2. hatten die Rotarmisten bis Mittag Neu Manschnow und Herzershof in ihrer Hand, zwei Stunden später Teile von Manschnow, schoben sich in der zweiten Tageshälfte bis zu den südlichen und südwestlichen Ausbauten von Kietz vor und drangen längs der Alten Oder über die Manschnower Mühle und die Reichsstraße 1 nach Norden zur Ostbahn vor. Am 4.2. erreichten die Russen die Kreuzung der Reichsstraßen 1 und 112 in Manschnow. [14]

Damit hatte die 1. Belorussische Front bis zum Abend des 3.2. alle festen Verbindungen - Eisenbahnen und Straßen - nach Küstrin unterbrochen und die Stadt zur belagerten Festung gemacht. In den Folgetagen schoben sich sowjetische Einheiten von Süden nach Norden in die Gorgaster Loose vor. Eigentlich hätten ihnen hier Truppen des sich bildenden nördlichen Teils des Belagerungsringes entgegenkommen müssen. Doch die hatten sich in der kümmerlichen deutschen Abwehr festgelaufen. Den nördlichen Abschnitt der Einschließung bildeten die 416. und die 295. Schützen-Division der 5. Stoß-Armee, des Generals Nikolai Bersarin, den südlichen die 35. und die 47. Garde-Schützen-Division der 8. Garde-Armee des General Wassili Tschuikow, einer der legendären Stalingradverteidiger.

Vom 7. bis zum 10.2. brach die vorübergehend an diesem Frontabschnitt eingesetzte 21. Panzer-Division die sowjetische Umklammerung auf und öffnete einen schmalen Zugang nach Küstrin, allerdings ohne feste Straßen- und Bahnverbindung. In der Nacht vom 7. zum 8.2. durchfuhr sie das erste Versorgungsgeleit. [15]

Diese als "Schlauchstellung" bekanntgewordene Õffnung begann im Süden an der "Nahtstelle" bei Gorgast und endete im Norden im Raum Genschmar. Ihre Breite schwankte zwischen drei und und fünf Kilometern. Etwa sechs Kilometer maß die Länge der Versorgungstrasse, die von Gorgast aus, südlich am Gut Alt Bleyen vorbei zur Kietzer Eisenbahnbrücke führte. Weitestgehend unter Feindeinsicht war sie nur nachts und für schwere Lasten bei feuchtem Boden allein mit Kettenfahrzeugen, den "Mulis", befahrbar. Um den 10.2. kamen auch Maultiere, die dabei an einen anderen Standort verbracht wurden, zum Einsatz. Die erfolgreiche Verteidigung der Schlauchstellung übernahm vom 10.2. bis zum 20.3. die 25. Panzer-Grenadier-Division unter Generalmajor Arnold Burmeister. [16]

Bis zum 4. Februar hatte die Kommandantur die kümmerlichen Reste der sich nördlich der Warthe zurückziehenden Division "Woldenberg" aufgefangen und integrierte sie in die Festungsbesatzung. Deren Gesamtstärke bezifferte der Kreisleiter der NSDAP später auf anfangs 11.000 Soldaten und 900 küstriner und nichtküstriner Volkssturmmänner. Am 22.2. notierte die Heeresgruppe Weichsel für Küstrin eine Kampfstärke von 8.196 Mann sowie eine Gliederung laut Tabelle 19. Die Truppen verfügten über wenige Panzer, Sturmgeschütze und Selbstfahrlafetten, für die anfangs manchmal die entsprechende Munition fehlte. Am 31. Januar befanden sich im Festungsbereich 6 schwere Flak-Batterien mit 24 Rohren und 2 leichte Flak-Batterien mit ebenfalls 24 Rohren. Mangel herrschte an Geschützen - wenn man von den wenigen Rohren zur Ausbildung absieht - Granatwerfern und schweren panzerbrechenden Waffen. Noch am 13.2. verzeichnete das Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht: "In Küstrin außer der Flak kaum eigene Artillerie vorhanden." Die 8,8-cm-Flak kam fast ausschließlich im Erdkampf, das heißt, gegen Panzer und Infanterie zum Einsatz. Bis Ende Februar besserte sich dieser Zustand etwas, blieb aber weiterhin unzureichend. In einem Fernschreiben vom 27.2. an die Heeresgruppe Weichsel kritisierte das OKH diese Schwäche und führte dazu aus: "Nachprüfungen haben ergeben, daß an panzerbrechenden Waffen in der Festung Küstrin z. Zt. nur 18 7,5-cm-Pak-40 und 5 Panthertürme eingesetzt sind." Unterstützung schwerer Artillerie gewährten die im Raum Seelow stationierten Batterien des 404. Volks-Artillerie-Korps. Deren Feuer lenkten vorgeschobene Beobachter in der belagerten Stadt und im Gut Alt Bleyen. Bis zum Schluß im Einsatz blieben Wurfrahmen, eine einfache, reaktive Werferart. Aus ihnen wurden Sprengwurfkörper der Kaliber 28/32 cm verschossen. Wegen ihrer Wirkung und des durchdringenden Aufheulens beim Abschuß bezeichneten sie die Deutschen als "Stukas zu Fuß", die Russen als "brüllende Kühe" oder "Hitleresel". Bedient wurden sie von einem Sonderkommando unter Major Hradezky. Sie nannten sich Nebelwerfer-Batterie, obwohl sie über keinen Do-Werfer verfügten. Wenn eine Einheit der Verteidiger unter zu starken Feinddruck geriet oder zu geraten drohte, forderte diese "Drei Schuß Bölke" an. [17] [Siehe hierzu den Erlebnisbericht Günther Bielicke in Quellen und Anmerkungen 18.]

Tabelle 19
Die Truppenteile der Festung Küstrin am 22.2.1945

(Laut Aufstellung der Heeresgruppe Weichsel)

  1. Festungskommandantur Stab
  2. Festungs-Infanterie-Bataillon 1450
  3. Panzer-Grenadier-Ersatz-Bataillon 50
  4. 1. M.-Bataillon z. b. V. Panzer-Truppe Nr. 346
  5. 2. M.-Bataillon z. b. V. Panzer-Truppe Nr. 346
  6. 3. M.-Bataillon Nr. 344
  7. Pionier-Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 68
  8. Landes-Pionier-Bataillon 513
  9. Festungs-Artillerie-Abteilung I/3132 (4 Batterien)
  10. Artillerie-Ersatz-Abteilung 39
  11. Flak-Regiment 114
  12. 5 Kampfwagen-Türme 7,5 cm (nicht feuerbereit)
  13. Festungs-Nachrichten-Kompanie 738
  14. Versprengte (gesammelt in der Stülpnagel-Kaserne)
  15. Genesenden-Kompanie (festgehalten)
  16. Bewährungs-Bataillon
  17. Ungarisches Infanterie-Bataillon IV
  18. Turk. Einsatz-Bataillon (deutsch)
  19. Turk. Einsatz-Bataillon (turk.)
  20. Nordkaukasisches Einsatz-Bataillon (deutsch)
  21. Nordkaukasisches Einsatz-Bataillon (kaukas.)
  22. Offiziere und Beamte (aus der Schloß-Kaserne)
  23. Volkssturm

Den bis zum Ende geltenden Kampfauftrag der Festung Küstrin legte ein Armeebefehl vom 12.2.1945 fest. Er forderte, ,,...daß der Kampf so zu führen ist, daß Anlehnung an die Oder bestehen bleibt und noch von der letzten kämpfenden Gruppe der Bau von Übergängen über den Fluß verhindert werden kann." [19]

Die Ernennung des SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Waffen-SS Heinz Reinefarth zum Festungskommandanten war gegen den Willen des AOK 9 und des Generalstabs des Heeres erfolgt. Reinefarth war im Zivilberuf Rechtsanwalt und hatte den Generalsrang nicht über die militärische Stufenleiter sondern über Funktionen in der Polizei erreicht. Bekanntgeworden war er durch seinen Einsatz bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes im Sommer und Herbst 1944. ,,Ein guter Polizeibeamter, aber kein General," beurteilte ihn später der Chef des Generalstabs des Heeres. Und der Oberbefehlshaber der 9. Armee schrieb nach dem Krieg über ihn, daß er ,,trotz besten Wollens den schweren Aufgaben in Führung und Organisation der Verteidigung keineswegs gewachsen" war. Heinrich Himmler, der Reichsführer SS und zu diesem Zeitpunkt auch Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Weichsel, sah in ihm jedoch den Mann des fanatischen Durchhaltens, von dem er glaubte, daß er kraft seiner Härte und seines Intellektes aus dem Anfangsdurcheinander in Küstrin eine kämpfende Festungsbesatzung formen könnte. Darin sollte sich Himmler auch nicht täuschen. Nachteilig erwies sich jedoch, daß Reinefarth angesichts des im Festungsbereich herrschenden Mangels an erfahrenen Offizieren aus der Gruppe der Hauptleute und Stabsoffiziere - das heißt, der Hauptleute, Majore, Oberstleutnante und Oberste - nicht auf fronterfahrene niedrigere Dienstränge zurückgriff, sondern das Defizit mit Offizieren aus der Reserve und Gendarmerie auszugleichen versuchte und ihnen wichtige Kommandostellen übergab, auf denen sie aus Unkenntnis schwere Fehler begingen. Daraus resultierten vorzeitige Stellungs- und höhere eigene Menschenverluste. Das führte unter anderem zur Fehlbesetzung des wichtigsten Abschnittskommandanten, dem der Neustadt. [20]

Der Festungskommandant selbst beging vier besonders schwere, und für die Besatzung folgenreiche, taktische Fehler:

  1. ließ er keinen vorsorgenden Rückzugsplan für den Abschnitt Neustadt im Falle eines irreparablen gegnerischen Durchbruchs aufstellen.
  2. griff er am 7.3., dem ersten Tag der Erstürmung der Neustadt, so gut wie nicht in das Geschehen ein und opferte dadurch den größten Teil ihrer Verteidiger.
  3. erfolgte am 28.3., dem ersten Tag des Generalangriffs auf die Altstadt, deren Aufgabe überhastet und schlecht organisiert, wodurch zahlreichen Soldaten und Männern des Volkssturms ein möglicher Rückzug verwehrt wurde.
  4. organisierte er den Ausbruch der Restbesatzung in der Nacht vom 29. zum 30.3. mangelhaft und ohne Abstimmung mit den Kommandostellen des AOK 9 und vor allem in der Hauptkampflinie, was vielen deutschen Soldaten Leben, Gesundheit oder Freiheit kostete. Diese Verluste hätten sich durch bessere Organisation reduzieren lassen.

Der Festungsbereich wurde in zwei Verteidigungsabschnitte gegliedert: Neustadt und Altstadt. Den größeren bildete die rechts der Warthe gelegene Neustadt. Hier wohnte der größte Teil der Bevölkerung, und hier befand sich auch das Gros der militärischen Einrichtungen wie Kasernen, Exerzier- und Übungsplätze, Lazarett, Magazine, Bäckerei und Proviantamt. Nordostwärts des Hauptbahnhofs lag das "Neue Werk". Nördlich der Warthe hatten ein großes Industriegelände - mit den Rütgers-Werken, die Eisenbahnschwellen aus Holz herstellten, der Norddeutschen Kartoffelmehlfabrik und der 1935 begonnenen und noch vor 1939 in Betrieb genommenen Zellstoffabrik -, Krankenhaus, Waldfriedhof, Gaswerk, Wasserwerk, Kläranlage und weitere Betriebe sowie das Stadion ihren Standort. Abschnittskommandant der Neustadt wurde Oberst der Gendarmerie Walter, über den der Festungskommandant am Ende der Kämpfe urteilte, daß er ,,mangels entsprechender Vorbildung die Lage nicht entsprechend zu meistern imstande war. Ein anderer Offizier als Abschnittskommandant ... jedoch nicht zur Verfügung stand."[21]

Die Lage der Neustadt war äußerst schwierig. Die Höhe 63 gewährte den Belagerern Einsicht. Außer aus südlicher Richtung, von der Warthe und Oder her, boten sich ihnen gute Angriffsmöglichkeiten, auch für den Einsatz von Panzern. Knapp zwei Drittel der Verteidiger erwarteten hier den Angriff des Gegners. Von den ersten Februartagen bis zum 7. März verlief die deutsche Stellung von der Zellstoffabrik (einschließlich) durch den südöstlichen Ausbau von Alt Drewitz (geteilt), von dort - nach einer Ausbauchung nach Norden - ostwärts südlich der Försterei Küstrin bis über die Zorndorfer Chaussee, dann in einem oben und unten eingebeulten, südsüdostwärts fallenden Bogen (etwa 500 Meter ostwärts des Wasserwerks) nach Warnick (ausschließlich, doch dessen Ortsteil Lagardesmühlen teilweise einschließend), bis zum Jungfern-Kanal. [22]



  
Alle Stadtteile links der Warthe bildeten den Verteidigungsabschnitt Altstadt, der 5 vorgeschobene Stützpunkte (Schöpfwerk, Bienenhof, Dammeisterei, Konradshof und Weinbergshof) einschloß. Dazu gehörten die Altstadt mit der Insel, Kietz und Kuhbrücken-Vorstadt, zeitweilig auch Neu Bleyen und der Bereich der Oderdämme bis zur nördlichen Wegespinne. Entsprechend der jeweiligen Lage verschob sich hier die Grenze zwischen dem Festungsbereich und der zur HKL gehörenden Schlauchstellung in den Räumen Kietz und Bleyen. Abschnittskommandant wurde Major Otto Wegner, ein fronterfahrener Infanterie-Offizier. Die mit dem Tauwetter eingeleiteten Überschwemmungen und das Frühjahrshochwasser verwandelten die kleine Altstadt in eine Insel. Im Osten reichte das mehrere Kilometer breite Überschwemmungsgebiet von der Warthe bis zur Oder, nur unterbrochen von den Deichen und den Dämmen der beiden Eisenbahnen und der beiden Chausseen. Feldstellungen sicherten die Deiche von der Breite einer schmalen Straße. An der Chaussee nach Göritz lag der als vorgeschobener Stützpunkt eingerichtete Bienenhof, nordostwärts davon, an der Reichsstraße 114 nach Sonnenburg, sollte das Schöpfwerk die gleiche Aufgabe übernehmen. Die Altstadt befand sich innerhalb der teilgeschleiften Festung. Dieser Stadtteil bot gute Verteidigungsmöglichkeiten, wenn die Verteidiger der feindlichen Artillerie und den Luftangriffen mit den gleichen Waffen und der gleichen Intensität hätten begegnen können, was nicht der Fall war. Weitere Nachteile für die deutsche Seite ergaben sich aus der Überbebauung der Altstadt und der leichten Brennbarkeit vieler ihrer alten Häuser, zurückzuführen auf deren Holzanteile, sowie der Brüchigkeit der jahrhundertealten Kasematten, die schweren Kalibern von Bomben und Granaten nur bedingt standhielten. [23]

Das Halten der Altstädter Insel mit der Artillerie-Kaserne, einer geringen weiteren Bebauung und einer veralteten Lünette im Pappelhorst setzte voraus, daß die Altstadt, der Bienenhof und Kietz in deutscher Hand verblieben.

Der kleine Stadtteil Kietz auf dem Westufer des Vorflutkanals schützte an dieser Stelle die Versorgungstrasse Küstrins zur Nahtstelle bei Gorgast. Hier waren harte Kämpfe zu erwarten, denn die Belagerer würden versuchen, sich in den Besitz der Vorflutbrücken für Straße und Eisenbahn zu setzen, um die Festung von ihrer Nachschubverbindung zu trennen.

Bereits am 3.2. hatte eine sowjetische Kompanie das Schöpfwerk genommen. Ein deutscher Gegenangriff eroberte am 4.2 das zerschossene Schöpfwerk zurück. Doch nur für einige Stunden, um dann wieder dem Gegner für immer überlassen zu werden. Bei diesen Kämpfen hatte eine ROB-Kompanie Ausfälle in Höhe von 90 Prozent! [24]

Den deutschen Verteidigungsabschnitt in Kietz - nördlich des Ostbahndammes mit loser Verbindung zum II. Bataillon des Panzer-Grenadier-Regiments 119 der 25. Panzer-Grenadier-Division, das den Südrand der Schlauchstellung schützte - begrenzten westlich des Ortsausganges der Weinbergshof (einschließlich), nach Süden die Deutschland-Siedlung im Bereich der Lothringer- und Hessenstraße, der Konradshof (einschließlich) und die Dammeisterei (einschließlich) am Oder-Vorflutkanal. Weinbergshof, Konradshof und Dammeisterei bildeten vorgeschobene Stützpunkte, waren wegen Feindeinsicht nur nachts erreichbar und wechselten bis zum Ende mehrmals den Besitzer.

Die Altstädter Insel zwischen Oder-Vorflutkanal und Oder befand sich vollständig in deutscher Hand.

Ostwärts der Oder bildete der vorgeschobene Stützpunkt Bienenhof mit den benachbarten Gebäuden den südöstlichsten Punkt des Festungsbereiches. Wegen Feindeinsicht war er im Normalfall nur nachts erreichbar. Die nächsten deutschen Stellungen befanden sich etwa 1.200 Meter weiter nördlich. Sie sprangen zum Göritzer Eisenbahndamm über, schlossen den Bahnhof Kietzerbusch ein und endeten, weiter nördlich nach Osten abbiegend, zwischen dem Unteren See und dem Klößling.

Der Ausbau der Stellungen und der Schutz vor feindlichem Beschuß und Bomben wurde verstärkt. Daran wirkten neben Soldaten, die nicht selten nach dem Prinzip ,,kämpfen und graben" handeln mußten, vor allem Volkssturm, Zivilisten, ausländische Zwangsarbeiter aus den Betrieben und Kriegsgefangene mit. Zur Schaffung von Schußfeld und Vermeidung von Flächenbränden nahmen Pioniere in der Stadt Gassensprengungen vor. [25]

Am Südzipfel des Mittelhöfels beginnt der Oder-Vorflutkanal. Genau gegenüber, auf der Ostseite des Stromes, biegt die aus Küstrin kommende und bis dahin parallel zum Oderdamm verlaufende Chaussee ab in Richtung Göritz. Hier befand sich der Bienenhof. Im Verein mit weiteren Gebäuden distanzierte er an dieser Stelle die Belagerer auf eine Entfernung von zirka zwei Kilometer südlich der Altstadt. Der Bienenhof entwickelte sich zu einem Brennpunkt der Verteidigung. 54 Tage hielt er feindlichem Druck stand. Mehrmals wechselte er den Besitzer. Seine Verteidiger zeichnete soldatisches Können und Pflichtbewußtsein aus. Meist waren es Angehörige des Bewährungs-Bataillons 500. SS-Gruppenführer Reinefarth bezeichnete sie als ,,die beste Truppe von Küstrin". In den Morgen- und Tagesmeldungen des Festungskommandanten wurde der Bienenhof oft erwähnt: [26]

2.2.: ,,Feindvorstoß mit 5 Panzern gegen Brücke bei Bienenhof unter Abschuß von 3 Panzern abgewiesen."
7.2.: ,,Schwächerer Vorstoß bei Bienenhof abgewiesen."
9.2.: ,,Südlich Bienenhof in Stellung gehende feindliche Batterien mit guter Wirkung bekämpft."
10.2.: ,,Bataillonsstarker, von Panzern unterstützter Feindangriff brach in Bienenhof ein, wurde jedoch im Gegenstoß wieder geworfen."
11.2.: ,,Feindstoßtrupp auf Bienenhof abgewiesen. Während des Tages feindliche Fliegerangriffe auf Bienenhof."
13.2.: ,,HKL bei Bienenhof 300 Meter vorverlegt."
14.2.: ,,Feindangriff von 2 Bataillonen mit 8 Panzern nach starker Artillerievorbereitung von Süden auf Altstadt. Einbrüche im Gegenstoß beseitigt, dabei 1 Panzer abgeschossen, 2 bewegungsunfähig."
16.2.: ,,Kompaniestarke Vorstöße gegen ... Bienenhof ... ohne Erfolg."
24.3.: ,,Artillerie bekämpfte Feindbewegungen ... bei Bienenhof, wo 1 Feind-Panzer bewegungsunfähig geschossen wurde."
26.3.: ,,Kompaniestarke Vorstöße bei ... Bienenhof wurden abgewiesen."
27.3.: ,,Stützpunkt Bienenhof ging nach Ausfall fast der gesamten Besatzung verloren."

Furchtbar war das Schicksal der Bewohner, die im direkten Umland von Küstrin hinter die russischen Linien gerieten. Einzelne, die sich später auf die deutsche Seite retten konnten, brachten Kunde von den Ausschreitungen der Roten Armee, die vor allem deutsche Frauen und Mädchen trafen.

Der Mehrheit der Küstriner Bevölkerung - einschließlich und vor allem der bis 1944 vor den anglo-amerikanischen Luftangriffen hierher Geflüchteten - gelang es, rechtzeitig, spontan und nichtorganisiert die Stadt zu verlassen. Schätzungsweise 8.000 bis 10.000 Personen wurden von den Ereignissen überrollt und mit eingeschlossen. Ihre Evakuierung

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erfolgte erst nach der Bildung der Schlauchstellung und dem Abbau der wichtigsten Transportrückstände in den Nächten vom 19. bis zum 23. Februar; wider Erwarten nur mit minimalsten Verlusten. Allerdings verließen nicht alle Zivilisten ihre Heimatstadt. Bei der Erstürmung der Neustadt sollen etwa 500 bis 600 von ihnen in die Gewalt der Roten Armee geraten sein. Außerdem kamen bis zum 22.3. des nachts einige Bewohner in die Stadt zurück, um dort verbliebene Habseligkeiten zu holen. Einzelne wurden mit eingeschlossen und erlebten das Ende in der Artillerie-Kaserne und in Kuhbrücken-Vorstadt mit. Von der dritten Februar- bis zur ersten Märzdekade befahl der Kommandant auch allen Angehörigen der Hitler-Jugend, die Festung zu verlassen. Die Jungen hatten sich freiwillig zur Hilfe bei der Verteidigung ihrer Heimatstadt gemeldet, gehörten bis auf wenige Ausnahmen keiner militärischen Einheit an und waren unbewaffnet. Sie arbeiteten in der Post, taten Dienst als Melder, halfen beim Bergen Verwundeter, bei der Evakuierung von Menschen und Tieren sowie bei Transporten von Lebensmitteln und Materialien aus der Neustadt in die Altstadt oder in das Hinterland. Man schickte sie zurück, weil sie jünger als 16 Jahre waren, und um sie nicht der Gefahr der Liquidierung bei einer Gefangennahme durch die Russen auszusetzen. Zurück blieben volkssturmpflichtige Männer, Feuerwehr, Polizei, ärzte, Pflegepersonal, dienstverpflichtete Beschäftigte wichtiger Betriebe und Einrichtungen, wie Stromversorgung, Gaswerk, Wasserwerk, Kläranlage, Friedhofsverwaltung, einer städtischen Notverwaltung sowie einer Restkreisleitung der NSDAP. [27]

Der Bürgermeister von Küstrin, Hermann Körner, war gleichzeitig Kreisleiter des NSDAP-Kreises Königsberg. Er war für die Belange der Partei, des Volkssturms (der einsatzmäßig der Festungskommandantur unterstand) und der in der Stadt verbliebenen Zivilbevölkerung zuständig. Ihm oblag auch die Sicherung der in großen Mengen in der Neustadt lagernden Vorräte. Allein die in der Norddeutschen Kartoffelmehlfabrik vorhandenen Nährmittel bezifferte Körner auf einen Wert von 3,5 Millionen Reichsmark. Vieles wurde von hier in die Altstadt verlagert. Wenn die allnächtlichen Versorgungstransporte auf der Rückfahrt nicht für Personen, hauptsächlichst Verwundete, benötigt wurden, nahmen sie Vorräte aus der Festung mit. Die Zusammenarbeit zwischen Festungskommandant und Kreisleiter war gut und eng.

Aus Angst und Hoffnungslosigkeit setzten einige Bewohner Küstrins aus unterschiedlichen Schichten am 31.1. ihrem Leben selbst ein Ende. Das blieben aber Ausnahmen. Bis zur Evakuierung Ende Februar paßten Kreisleitung, Stadtverwaltung und Bevölkerung das tägliche Leben den Bedingungen der Belagerung an. Ämter und Dienststellen arbeiteten weitestgehend weiter, nur mit veränderten Aufgabenstellungen. Das reichte vom Arbeitsamt über das Gesundheitswesen, Entbindungsheim, Kinderheim, die Unterbringung Obdachloser, Post, Geldverkehr, den Hilfseinsatz durch NSV, DRK, NSDAP, Frauenschaft, Hitler-Jugend und BDM, Kfz-Zulassungen, Hilfsleistungen für Geschädigte, Ausstellung von Passierscheinen. Von 20 bis 6 Uhr galten für Zivilisten Ausgangssperren, für Ausländer von 18 bis 6 Uhr. Die Lebensmittelversorgung funktionierte. Auftretende Verteilungsprobleme versuchten Partei und Verwaltung, unbürokratisch zu lösen. Viele Bäckereien und Fleischereien arbeiteten weiter. Desgleichen Friseure, Tischlereien, Schlossereien, Installateure und Schmiede. Allerdings gehörte eines zu diesem Kriegsalltag: Die ständige Anwesenheit des Todes, der immer wieder Opfer verlangte. Vom 25. Februar an gab es in einer als Luftschutzraum genutzten Kasematte im Gelände der Jugendherberge in der Altstadt regelmäßige Filmvorführungen für bewährte Frontkämpfer. [28]

Seit dem 12.2. erschien die Notzeitung "Feste Küstrin", das Nachrichtenblatt der Festung, herausgegeben vom Festungskommandanten und der NSDAP-Kreisleitung. Gedruckt wurde sie in der Neustadt und erschien zum letzten Mal am 7. März mit der Nummer 23. Die erste Ausgabe enthielt die abgebildeten Aufrufe.

Als es nach den ersten Räumungen und verstärkt nach der Evakuierung der Bevölkerung zu Plünderungen kam, griff die Festungskommandantur hart durch und verhängte auch bei kleineren Delikten die Todesstrafe. Sie traf gleichermaßen Soldaten und Zivilisten. Am 4.2. wurden 14 Ostarbeiter erschossen. Über Standgerichtsurteile

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wegen Plünderung und Desertation berichtete die "Feste Küstrin" am 15.2. (1 Soldat Plünderung), am 18.2. (1 Soldat Desertation), am 23.2. (1 Soldat Desertation und Plünderung), am 24.2. (1 italienischer Kriegsgefangener Plünderung), am 26.2. (1 Soldat und 1 Mädchen Plünderung). Fast alle Festungszeitungen trugen anfangs den fettgedruckten Hinweis ,,Wer plündert, wird erschossen!", später ,,Wer plündert, wird erschossen oder gehängt!". Dadurch verringerten sich die Übergriffe. Dennoch beklagte der NSDAP-Kreisleiter und Bürgermeister in seinem Abschlußbericht derartige Vergehen deutscher Soldaten. Sehr oft habe er die Äußerung gehört, ,,schlimmer können die Russen auch nicht hausen". [29]

Die geschilderten Hinrichtungen blieben nicht die einzigen. Am 2. oder 3.2. hingen an den Masten der Warthe-Straßenbrücke deutsche Soldaten. Der Text der umgehängten Schilder lautete sinngemäß: ,,Ich war feige". In Kietz kam es an einem Tage zur Erschießung von 10 deutschen Soldaten. Etwa um den 20. Februar hingen zwei Wehrmachtsangehörige an einem Galgen am Kietzer Tor. Ein Schild trug die Aufschrift ,,Ich bin desertiert." Daraufhin gab es in der Festung kaum noch unerlaubte Entfernungen. Durch die Schlauchstellung war das so gut wie unmöglich, und zum Russen wollte niemand. Die Vorfälle in der Zellstoffabrik zu Beginn der Belagerung - das Erschießen der gefangenen Volkssturmmänner und das Umbringen eines Teils der Ungarn - hatten sich unter vielen Verteidigern der Festung herumgesprochen. [30]

Der Februar brachte den vollendeten Aufmarsch der Belagerer. Nach dem Ende ihrer Weichsel-Oder-Operation hatte die 1. Belorussische Front zunächst Probleme mit der Normalisierung ihres Nachschubs, dem Nachziehen schwerer Waffen und dem Einrichten von Flugplätzen in ausreichender Anzahl. Zügig löste sie diese und beseitigte sie nach der Erstürmung Posens, am 23.2., bis zum Monatsende. Wichtige westwärts führende und unter Wasser stehende Wege im Überschwemmungsgebiet zwischen Oder und Warthe wurden zu Knüppeldämmen umfunktioniert, die eine langsame Lkw-Befahrung ermöglichten. Doch kampflos blieb es deshalb in Küstrin nicht. Gegenseitige Späh- und Stoßtrupptätigkeit wechselte mit Angriffen in Zug-, Kompanie- und Bataillonsstärke. Auf den in die Altstadt führenden Dämmen lagen sich die Gegner mitunter so nahe gegenüber, daß die Geplänkel mit Panzerfäusten und Handgranaten auch nachts anhielten. Die Stärke des sowjetischen Artillerie- und Granatwerferfeuers nahm zu. Die Batterien der Belagerer schossen sich auf die Ziele in der Stadt ein. Höhepunkte der Feuerintensität waren der 15. und der 17. Februar. Speziell dafür eingesetzte Beobachter schätzten ihn am 15. auf knapp 5.900 und am 17. auf knapp 5.700 Schuß. Küstrin erlebte das gleiche Schicksal wie andere märkische Frontstädte - wie Guben und Forst an der Lausitzer Neiße - es wurde systematisch in Brand geschossen. Am 5.2. hatte Salvengeschützfeuer die ersten Flächenbrände in der Neustadt verursacht. Am 7.2. folgten weitere. Später griff das Zerstörungswerk auf die Altstadt über. Daran beteiligten sich zunehmend Bomben- und Schlachtflugzeuge. Nachdem sie in Odernähe wieder über ausreichend Flugplätze verfügte, errang die sowjetische Luftwaffe die vorübergehend eingebüßte Luftherrschaft zurück. Für die deutsche Verteidigung bedeutete das, bis auf seltene Ausnahmen ohne Unterstützung der Flieger kämpfen zu müssen. Nach Einbruch der Dunkelheit erschienen fast regelmäßig Doppeldecker der Russen, von deutschen Soldaten als "U.v.D." oder "Nähmaschine" bezeichnet. Diese Flugzeuge flogen langsam, operierten einzeln, stoppten im Zielgebiet den Motor, gingen zum Gleitflug über und warfen blind kleine Splitter- oder Brandbomben ab. [31]

Der begrenzte und nicht ungefährliche Zugang nach Küstrin erlaubte keinen Besuchsverkehr. Die Festung suchte nur auf, wer dazu den Befehl erhielt. - Zu den Ausnahmen zählten wenige Frauen sowie Soldaten, die aus dem Urlaub kamen und unbedingt zurück zu den Kameraden ihrer Einheit wollten. - Zur Lagebesprechung vor Ort erschien der Oberbefehlshaber der 9. Armee, General Theodor Busse. Gauleiter Emil Stürtz, in Personalunion auch Oberpräsident und Reichsverteidigungskommissar, kam in der Nacht vom 27. zum 28.2. zu einer Kurzvisite. Er fuhr mit dem ersten Versorgungskonvoi stadtwärts, führte Besprechungen mit dem Kreisleiter und dem Festungskommandanten und verließ die Stadt auf dem gleichen Weg, wie er gekommen war. [32]

Anfangs war Küstrin dem Armee-Oberkommando 9 direkt unterstellt. Seit dem 16.2. unterstand die Festung dem von SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Matthias Kleinheisterkamp geführten XI. SS-Panzer-Korps. Nach dem 22.3. und der endgültigen Einschließung erfolgte die Rückunterstellung unter das AOK. [33]

Wie ein fast 10 Kilometer langer Keil drängten sich Schlauchstellung und Festungsbereich zwischen die sowjetische 8. Garde- und die 5. Stoß-Armee und hinderten die 1. Belorussische Front an der Bildung eines operativen Brückenkopfes westlich der Oder, der den wichtigen Küstriner Verkehrsknoten einschloß.

Mitte Februar erhielt General Bersarin den Befehl zum Frontalangriff auf Küstrin. Zur Verstärkung teilte ihm das Oberkommando der Front 2 schwere Haubitzen-Brigaden, 1 selbständige Panzerjäger-Brigade, 1 Granatwerfer-Regiment, 1 Ponton- und 1 Brückenbau-Regiment zu. Die Schützen-Divisionen wurden aufgefüllt. Nach sowjetischen Angaben sollen die 6.000 bis 7.000 Verteidiger der Küstriner Neustadt über 102 Feldkanonen, 30 Fliegerabwehrgeschütze, 25 Selbstfahrlafetten, 10 Geschoßwerfer, 50 Granatwerfer, rund 300 Maschinengewehre und große Munitionsvorräte verfügt haben. Allerdings standen die 102 (in Wirklichkeit waren es 105) Feldkanonen fast alle außerhalb Küstrins - die schweren Kaliber im Raum Seelow, wurden von VB's in der Stadt geleitet - und konnten die Verteidiger durch Schießen im direkten Richten nicht unterstützen. Ihnen standen auf russischer Seite schätzungsweise 14.000 bis 18.000 Mann mit 700 bis 800 Geschützen und Granatwerfern aller Kaliber gegenüber. Bomber- und Schlachtflieger-Verbände sorgten aus der Luft für die Vorbereitung und Unterstützung des Sturmes. Für den Straßenkampf bildeten die Regimenter spezielle Sturmgruppen. Jede bestand aus zwei schweren Panzern IS 2, mittleren Panzern T-34, zwei 76-mm-Geschützen und einer Schützeneinheit. Sturmpioniere mit Flammenwerfern und schutzwestenähnlichen Grabenpanzern sollten den Häuserkampf unterstützen. Dafür lagen auch einige tausend erbeutete deutsche Panzerfäuste bereit. Außerdem warteten weitere Panzer und Selbstfahrlafetten auf den Einsatz. Die Führung des Angriffs oblag dem 32. Schützen-Korps unter General Sherebin. Sein Plan sah vor, ,,den Hauptstoß aus dem Raum Alt Drewitz in Richtung auf die Eisenbahnbrücken über die Warthe zu führen, um die Besatzung der Neustadt von der Altstadt abzuschneiden und zu vernichten. Für die erste Staffel des Korps waren das 1038. und das 1040. Schützen-Regiment der 295. Schützen-Division vorgesehen, für die zweite Staffel das 1368. und das 1374. Schützen-Regiment der 416. Schützen-Division. Um den Gegner von der Hauptstoßrichtung abzulenken, sollte das 1042. Schützen-Regiment einige Stunden vor Angriffsbeginn am Ost- und Südostrand der Neustadt zu aktiven Gefechtshandlungen übergehen." [34]

Parallel zur Erstürmung der Neustadt bereitete die 8. Garde-Armee General Tschuikows die Wegnahme von Kietz und das Unterbrechen der Nachschub-verbindungen zur Festung vor. Die beiden hier liegenden Regimenter der 35. Garde-Schützen-Division, ein Regiment der 47. Garde-Schützen-Division sowie 200 bis 300 Geschütze und Granatwerfer aller Kaliber wurden dafür bereitgestellt. Diese Truppen unterstanden dem 4. Garde-Schützen-Korps. [35]

Die deutsche Vorbereitung auf den feindlichen Großangriff war mangelhaft. Dieser Vorwurf betraf allerdings nur den Verteidigungsabschnitt Neustadt, der unter dem Kommando des 56-jährigen Oberst der Feldgendarmerie Walter stand. Hier gab es kein ausreichendes, sich überschneidendes Nachrichtennetz, das auch bei Ausfall eines Übermittlungsweges die Verbindung nicht abreißen ließ. Pläne, auf gegnerische Einbrüche durch Abriegelungen, taktische Umgruppierungen, Frontverkürzungen oder Rückzüge zu reagieren, fehlten. Das geschah, obwohl das Generalkommando XI. SS-Panzer-Korps am 20.2. auf den bevorstehenden Großangriff hinwies. SS-Gruppenführer Reinefarth hatte die Unterlassungen nicht abstellen lassen. Er hielt weiter an Oberst Walter fest, ohne dessen Führungsarbeit zu verbessern. [36]

Anfang März hatten beide sowjetische Armeen ihre Vorbereitungen für den Großangriff auf Küstrin abgeschlossen.

Zuvor waren die deutschen Truppen südlich Küstrin Ende Februar erneut unter starken Feinddruck geraten. Im Raum Lebus und auf dem Reitweiner Sporn kam es zu schweren und verlustreichen Kämpfen. Nördlich des Sporns, bereits im Oderbruch, bestand ostwärts der Dörfer Hathenow und Rathstock ein vorspringender deutscher Frontbogen, der östlich Rathstock bis zur Eisenbahnlinie Frankfurt - Küstrin reichte. Angesichts der deutschen Kräfteunterlegenheit bildete er für die verteidigenden Einheiten eine taktische ,,Mäusefalle". Am 2. März begradigte die sowjetische 8. Garde-Armee mit starker Panzerunterstützung die Front an dieser Stelle und setzte sich in den Besitz von Hathenow und Rathstock, wodurch sie die Tiefe des Reitwein-Lebuser-Brückenkopfes verbesserte. [37]

Während der andauernden starken Beschießung Küstrins am 5. März wurde die Straßenbrücke über den Oder-Vorflutkanal durch acht Volltreffer zerstört. Seitdem bildete die Eisenbahnbrücke die letzte feste Verbindung zwischen Kietz und der Altstädter Insel. Am 6.3. begann der Angriff auf Kietz. Nach heftiger Artillerievorbereitung gelang den sowjetischen Schützeneinheiten ein schneller Einbruch in den Südwestteil des Ortes. Danach kam es zu mehrtägigen erbitterten Häuserkämpfen unter Einsatz schwerer Waffen. Nach sechs Tagen hatten die Verteidiger wohl den gesamten Stadtteil Kietz verloren, es war ihnen jedoch gelungen, das Ziel des Angriffs - die Trennung der Festung von ihrer rückwärtigen Verbindung - zu verhindern. 300 Meter südwestlich der Vorflutkanalbrücken brachten sie die gegnerischen Sturmgruppen zum Stehen. Die Entfernung bis zur Versorgungstrasse hatte sich damit an dieser Stelle auf ein Minimum reduziert. Trotzdem fuhren deutsche Kettenfahrzeuge allnächtlich weiter von Seelow nach Küstrin über den Vorflutkanal und wieder zurück. Allerdings hatte der 10.3. zur Krise geführt und kurzzeitig für wenige Stunden die Nachschubtrasse unterbrochen, was bereits am nächsten Tag deutscherseits bereinigt wurde. Das Ende des russischen Angriffs bewirkte aber erst am 12.3. ein deutscher Gegenangriff des nur für diese Aufgabe in die Schlauchstellung verlegten Infanterie-Regiments 300 der Infanterie-Division "Döberitz" im Verein mit dem II. Bataillon/119 der 25. Panzer-Grenadier-Division. Er fügte dem Gegner in dessen erneuter Bereitstellung blutige Verluste zu, hatte aber auch starke eigene Einbußen zu verzeichnen. Die Kämpfe hörten hier nach dem 12.3. nie mehr richtig auf. Sie änderten jedoch am Frontverlauf dieser Stelle bis zum Fall der Stadt nichts mehr. Die nur wenige hundert Meter zählende Entfernung zwischen Eisenbahnbrücke und vorderster Stellung der 8. Garde-Armee blieb erhalten. [38]

Erstaunlich war, daß die Russen am 10.3. nicht erkannt hatten, wie nahe sie ihrem Ziel waren, eine eintägige Pause einlegten und nicht mit entsprechenden Kräften bereits am 11.3. ihre Erfolge aus den Vortagen auszuweiten versuchten. Über den kritischen Zustand der deutschen Verteidigung dieser Tage berichtete am 9.3. ein aus Küstrin zurückgekehrter Verbindungsoffizier des XI. SS-Panzer-Korps: ,,Die Bereinigung von Kietz ist nicht beabsichtigt, da keine Kräfte dafür vorhanden. Mit Major Hass, Kdr. Pz.Gren.Regiment 119, der persönlich in der Festung war, ist besprochen, daß die Verbindung zwischen Kietz und Pz.Gren. Regiment 119 durch Stützpunkte gehalten wird. Kietz besteht nur noch aus Trichtern und brennenden Trümmern. Am 7.3. allein verschoß der Feind neben rollenden Luftangriffen 30.000 Schuß Art. Munition im Raum Kietz. Am 7. und 8.3. fielen allein in Kietz 450 Mann durch Verwundung aus." Das Kietz verteidigende Bataillon Wetzel wurde bei diesen Kämpfen aufgerieben. Unter den Opfern war auch sein Kommandeur. [39]



  
Die drei dem südlichen Kietzer Ortsrand vorgeschobenen Stützpunkte erlitten seit Beginn der Belagerung folgende Schicksale: [40]

  • Der Weinbergshof wechselte in der zweiten Februarhälfte zweimal den Besitzer und fiel Anfang März endgültig in sowjetische Hand.
  • Der Konradshof wechselte am 16.2. zweimal den Besitzer, hatte vorher bereits viermal gewechselt, und ging in der ersten Märzdekade endgültig verloren.
  • Die Dammeisterei ging am 12.3. nachmittags verloren, wurde in der Nacht zum 13.3. zurückgewonnen und ging am gleichen Tag gegen panzerunterstützten Feindangriff endgültig verloren. Ein deutscher Gegenangriff in der Nacht zum 14.3. scheiterte. Vermutlich führte diesen eine Einheit der Leibstandarte "Adolf Hitler", die vom Mittelhöfel mit Booten den Vorflutkanal überquerte hatten und dabei am nächsten Morgen durch sowjetische Schlachtflieger zum größten Teil vernichtet wurde.

In Kietz zeigten die Russen bei der Wahl ihrer Mittel wenig Skrupel. So meldete am 9. März das AOK 9 in diesem Stadtteil einen feindlichen Angriff ,,deutsch-uniformierter Kräfte ... etwa in Bataillons-Stärke", deren Einbruch wieder bereinigt wurde. [41]

Am 4. März warfen einige sowjetische Flugzeuge Phosphor-Kanister auf die Neustadt. Der Tag danach brachte für ganz Küstrin ,,rege feindliche Fliegertätigkeit mit Bomben und Bordwaffenangriffen" und ,,stärkeres Artilleriefeuer (innerhalb 6 Stunden 3.000 Schuß, zum Teil auch schwere Kaliber)". Während am 6.3. in Kietz die deutschen Verteidiger in schwere Abwehrkämpfe verwickelt wurden, nutzte die 5. Stoß-Armee diesen Tag zur weiteren Vorbereitung ihres Großangriffs und zur Ablenkung der deutschen Führung vom geplanten Angriffsschwerpunkt. In den ersten Tagesstunden versuchte sie im Süden der Neustadt eine begrenzte Landung in Kompaniestärke auf dem Nordufer der Warthe. Sie mißlang. Vormittags griff ein Regiment beiderseits der Landsberger Straße an. Es wurde abgewiesen, teilweise erst im Gegenstoß. Mittags lag der innere Verteidigungsbereich der Neustadt unter starkem Artilleriefeuer und heftigen Attacken russischer Flugzeuge. Gegen 13 Uhr begann ein regimentsstarker Angriff aus Warnick, brach in die deutschen Stellungen ein, wurde aber im Gegenstoß zurückgeschlagen. Deutsche Artillerie bekämpfte am Nachmittag stärkere gegnerische Bereitstellungen bei Alt Drewitz. [42]

Der 7. März brachte den Beginn des längst erwarteten und befürchteten Sturmes der Roten Armee auf die Küstriner Neustadt. Nach Artilleriebeschuß des Südostteiles begannen Fliegerverbände das Bombardement. Die Neustadt brannte und hüllte sich in Rauch. Im Laufe des Vormittags trat beiderseits der Landsberger Straße und aus Warnick das verstärkte 1042. Schützen-Regiment der 295. Schützen-Division zum Angriff an. Nach zweieinhalbstündigen Gefechten war er - zum Teil erst im Gegenstoß - abgewiesen. Großen Anteil an diesem deutschen Abwehrerfolg hatte die kleine Einheit des Majors Hradezky mit ihren "Stukas zu Fuß". Sie hatte ihre Abschußrahmen rechtzeitig verdeckt aufstellen und mit etwa 40-50 Wurfkörpern den Angreifern blutige Verluste zufügen

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können. Gegen Mittag begann das sowjetische Trommelfeuer aus Hunderten von Rohren. 30 Minuten später erfolgte hinter einer Feuerwalze der russische Angriff in der Hauptrichtung von Alt Drewitz auf den Bahnhof und die Warthebrücken zu. Ihn führten mit Panzerunterstützung das 1038. und das 1040. Schützen-Regiment der 295. Schützen-Division. Auch an der Zorndorfer Chaussee traten weitere sowjetische Einheiten zum Angriff an, ohne hier zunächst Erfolg zu haben. [43]

Die Stoßrichtung der Angreifer längs der Drewitzer Straße bis zur Stettiner Bahnlinie setzte das Niederkämpfen der hier befindlichen deutschen Stellungen voraus. Erbitterte Gefechte begannen. Teilweise endeten sie in fluchtartigem Rückzug der Verteidiger. Nach zweieinhalb Stunden befand sich nicht nur die noch ausgangs Alt Drewitz verlaufende erste deutsche Stellung in russischer Hand, die Rotarmisten hatten auch einen zwei Kilometer tiefen Einbruch erzielt und standen 800 Meter nordwestlich des Hauptbahnhofs. Bereits eine halbe Stunde später drangen sie in die 600 Meter südostwärts der Straßengabel Drewitzer Straße gelegene Kartoffelmehlfabrik ein. Der deutsche Widerstand hatte sich inzwischen verstärkt und zu einzelnen schwächeren, allerdings erfolglosen Gegenstößen geführt. [44]

Gegen 15 Uhr entschloß sich General Sherebin zur Ausweitung des bisherigen Angriffserfolges und ließ zwischen dem 1038. und dem 1040. Schützen-Regiment zusätzlich das 1368. und das 1374. Schützen-Regiment in Richtung Hauptbahnhof einführen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Hauptkampflinie zwischen Jungfern-Kanal und Stettiner Bahnlinie, das heißt, im Osten und Nordosten noch fest in deutscher Hand. Der Abschnittskommandant Neustadt, Oberst Walter, hatte jedoch versäumt, den Nordwestteil des inneren Verteidigungsringes rechtzeitig besetzen zu lassen. Bereits um 17 Uhr standen daraufhin die ersten Russen im inneren Verteidigungsbereich. [45]

Gegen 15.45 Uhr hatte Artillerie sowjetische Kolonnen mit Lkw und Panje-Wagen, die sich auf der Drewitzer Straße in Richtung Stadtmitte bewegten, bekämpft. Eine Stunde danach mußte die deutsche Führung feststellen, daß der ,,Feind mit 8 Panzern und etwa 800 Mann Infanterie im Raum Sägewerk - Obstgarten - Häuserblock NW Hauptbahnhof" stand, und die ,,Zellstoffabrik von Infanterie mit Panzern und Flammenwerfern angegriffen" wurde. [46]

Während die deutsche Führung in der Neustadt wie gelähmt schien, nutzte die russische Seite die bei ihr liegende Initiative und massierte ihre Truppen an den Schwerpunkten, die sie bestimmte. Die Verteidiger des brennenden Stadtteils kämpften unter ungünstigen Bedingungen. Ein Teil der Soldaten, Unterführer und Offiziere, sowie der wenigen Geschütze und Granatwerfer war dem Bombardement und dem vorbereitenden Artilleriefeuer zum Opfer gefallen. Unterstützung aus der Luft erhielten sie nicht. Dafür waren sie ständigen Angriffen gegnerischer Bomber und Schlachtflieger ausgesetzt. Für sie gab es keine Ablösung, nur steigende Anspannung, während der Einsatz der sowjetischen Einheiten staffelweise erfolgte. Der russische Angriffsdruck ließ auch nachts nicht nach. Das Schwerste für die deutschen Soldaten war jedoch, wenn Flucht oder Absetzen nicht möglich waren, in ihren Häusern, Ruinen, Bunkern und Gräben von Panzern und Geschützen im direkten Richten zusammengeschossen zu werden. Nicht selten griffen danach Sturmpioniere an, die mit Sprengladungen oder Flammenwerfern den letzten Widerstand brachen. In solchen Situationen gab es für die Verteidiger nur die Alternative, entweder den Widerstand einzustellen oder zu sterben. Selten kam es zu vorzeitiger Ergebung, denn die meisten Soldaten klammerten sich in dieser Situation an die vage Hoffnung auf Hilfe oder Entsatz in letzter Minute. Auf deutscher Seite kämpfte auch ein Bataillon sowjetischer Freiwilliger. Was seine Angehörigen im Falle einer Gefangennahme zu erwarten hatten, ließ schon die Benennung auf sowjetischen Stabskarten erkennen, denn sie wurden als "Bataillon Vaterlandsverräter" bezeichnet. Wer jedoch den Tod erwarten mußte, wollte diesen Weg so spät als möglich und vor allem nicht allein beschreiten. Das alles steigerte die Erbitterung, mit der gekämpft wurde. So kam es vor, daß deutsche Infanterie bei Gegenstößen bis zu den vorgezogenen Geschützen des Gegners durchbrach, und mancher russische Artillerist im Nahkampf fiel. [47]

6 durch Nahkampfmittel abgeschossene Feindpanzer in der Küstriner Neustadt und Verluste von etwa 350 Verwundeten und über 60 Toten im Festungsbereich - allerdings ohne Angabe der Vermißten - meldete der Festungskommandant für den 7. März [48]

In der Neustadt gingen die Häuserkämpfe auch nachts weiter, erhellt durch starke Brände an vielen Stellen. Die Regimenter der 5. Stoß-Armee versuchten mit aller Kraft, zur Gasanstalt durchzubrechen und die deutschen Truppen in der Neustadt von denen der Altstadt zu trennen. Nachdem in den ersten Stunden des 8.3. ein deutscher Gegenangriff gegen die von Nordwesten in den inneren Verteidigungsbereich eingebrochenen Angreifer verlustreich fehlgeschlagen war, setzten am Morgen des 8.3. die sowjetischen Truppen zum entscheidenden Angriff an. Einer erneuten starken Feuervorbereitung folgte die Erstürmung des Hauptbahnhofes. Nach Angaben des Generals Bokow mußte der Komplex nach Beschuß durch Panzer und Geschütze im direkten Richten Teil für Teil im Nahkampf genommen werden. Andere Einheiten erreichten den Stern und den Holzplatz oder drehten in Richtung Neues Werk ein. Um 9.30 Uhr wurde das Drehteil der mittleren Warthebrücke ausgeschwenkt. 30 Minuten später wiesen deutsche - durch Umgruppierung, Versprengte und Troß-Mannschaften verstärkte - Sicherungen den ersten russischen Angriff gegen die Warthe-Brücken ab. Zuvor hatten Flüchtende versucht, durch das Vorgelände die rettende Altstadt zu erreichen. Dabei waren viele Soldaten Opfer sowjetischer Schlachtflieger, Scharfschützen und Panzer geworden. Bis zum späten Abend hielten die Verteidiger unter hohen eigenen Verlusten weitere Feindangriffe mit Panzerunterstützung 150 Meter vor der westlichen und 250 Meter vor der östlichen Brücke auf. In der Nacht zum 9.3. sprengten Pioniere beide Warthebrücken. Damit wurde die Besatzung der Neustadt von der deutschen Führung aufgegeben, blieb ohne direkte, Sprech- oder Funkverbindung, kämpfte aber weiter. Das sowjetische 1038. Schützen-Regiment griff mit Unterstützung aus der Luft, von Panzern und Sturmpionieren mit Flammenwerfern die Zellstoffabrik von drei Seiten an. Die vierte Seite bildete die Hochwasser führende Warthe. Fehlende Boote oder Pontons schlossen eine Evakuierung der Besatzung aus. Der Kampf an dieser Stelle dauerte länger als 40 Stunden und endete am Vormittag des 9.3.. Einigen Verteidigern gelang es noch, schwimmend das Altstadtufer zu erreichen. Als die anderen die Waffen streckten, wurden sie gefragt, weshalb sie mit so wenigen Soldaten den Kampf nicht früher eingestellt hätten, und danach eröffnete ihnen ein Dolmetscher, daß die nicht gehfähigen Verwundeten mit Ausnahme eines Offiziers erschossen würden. [49]

In der Nacht vom 8. zum 9.3. und im Laufe des 9. März wurden die deutschen Truppen in drei Gruppen aufgesplittert: Die erste und größte im Raum Neues Werk - Sägewerk - Oststadtrand. Die zweite in der Zellstoffabrik. Die dritte im Südostraum mit der Pionier-Kaserne. Am 11.3. abends befanden sich nur noch das Neue Werk und die nördlich davon liegende Infanterie-Kaserne (Stülpnagel-Kaserne) in deutscher Hand. Die Entfernung von hier bis zur Altstadt, das heißt, bis zu den nächsten deutschen Truppen, betrug 1.300 Meter Luftlinie. Dazwischen aber lag der Einschließungsring des 32. Schützen-Korps und floß die Frühjahrshochwasser führende Warthe mit ihren zerstörten Übergängen. Weil es nach Südwesten unmöglich erschien, versuchte der Befehlshaber der starken deutschen Gruppe in der Nacht zum 12.3. den Durchbruch nach Norden in das sowjetische Hinterland, um sich zu den deutschen Brückenköpfen Zehden oder Stettin durchzuschlagen. Damit kam er der für die ersten Stunden des 12. März geplanten starken Artillerievorbereitung der Russen um eine halbe Stunde zuvor. Der nächtliche Ausbruch längs der Bahnlinie nach Zorndorf durch das 1042. Schützen-Regiment glückte nur wenigen. Eine mehrere hundert Mann starke Gruppe streckte nordostwärts Küstrin die Waffen, als sie in eine Stellung mit Stalin-Orgeln geriet. Drei Mann erreichten nach 9 Tagen im Oderbruch bei Karlsbiese - Gieshof die deutsche Front. Die wieder auf die Kaserne und das Neue Werk zurückgeworfene größere Gruppe der Eingeschlossenen beendete den Kampf am Morgen des 12. März. Dem war nach kurzer Artillerievorbereitung ein Sturmangriff der Rotarmisten vorausgegangen. Damit befand sich die gesamte Küstriner Neustadt in der Gewalt der 5. Stoß-Armee. Diese meldete rund 3.000 gefangene und mehr als 3.000 tote Verteidiger. Knapp zwei Drittel der Festungsbesatzung waren damit vernichtet. Unter den Gefangenen befand sich auch Oberst Krüger, unter den Toten Hauptmann von Oldershausen. [50]

Der Versuch der Truppen General Bersarins, in Ausnutzung ihres Erfolges auch die Altstadt zu stürmen, schlug fehl. Bereits am 8.3. hatte sowjetische Infanterie in Höhe der ausgebrannten Petroleumtanks die Warthe überquert und auf dem Gorin einen kleinen Brückenkopf gebildet. Während am 9. und 10.3. auf der Altstadt starkes Artilleriefeuer lag, erfolgten mit Unterstützung von Artillerie und Tieffliegern weitere Anlandungen oberhalb der Warthebrücken und zwischen diesen. Alle Versuche wurden entweder abgewiesen oder die Angelandeten durch Gegenangriffe vernichtet. Daß danach die 5. Stoß-Armee so schnell aufgab, lag vermutlich daran, daß deutscherseits eine Bereitstellung stärkerer Feindkräfte zum Übersetzen rechtzeitig erkannt und in der Abenddämmerung des 9.3. durch deutsche Schlachtflieger überraschend und wirkungsvoll angegriffen wurde. [51]

Am 12.3.1945 um 23 Uhr Ortszeit verlas der Moskauer Rundfunk den Befehl Nummer 300 des obersten Befehlshabers der Roten Armee J. W. Stalin. Danach schossen 124 Geschütze der Moskauer Garnison den Ehrensalut von 12 Salven. In dem Befehl hieß es unter anderem: [52]

,,Die Truppen der 1. Belorussischen Front haben heute, am 12. März,
nach hartnäckigen Kämpfen die Stadt und Festung Küstrin eingenommen -
den wichtigen Verkehrsknotenpunkt der Faschisten an der Oder,
der die Zugänge von Berlin deckt."

Diese Meldung war fehlerhaft. Die Festung zwischen Oder und Warthe befand sich einschließlich ihrer Nachschubverbindung in das Hinterland noch immer in deutscher Hand. Weil die internationale Presse Meldungen der kriegsführenden Staaten sofort publizierte, war es für den Urheber unangenehm, daß kurz darauf deutsche Zeitungen das Gegenteil berichteten. Allerdings hatte auch der tägliche Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht nur von starken Kämpfen in und bei Küstrin und vom verengten Brückenkopf, nicht aber vom Verlust der Neustadt gesprochen. Über diese Episode schrieb später der damalige Oberbefehlshaber der sowjetischen 8. Garde-Armee, daß das Oberkommando der 5. Stoß-Armee sich kein klares Bild über die Lage verschafft habe und dem Frontstab meldete: ,,Stadt und Festung Küstrin wurden im Sturm genommen." Der Frontstab gab die Meldung unkontrolliert nach Moskau weiter. Als Ende März die 8. Garde-Armee die Altstadt mit der Festung dann tatsächlich stürmte, feierte Moskau diesen Erfolg durch einen weiteren Dankbefehl mit Artilleriesalut. Marschall Shukow, in diesen Monaten Oberbefehlshaber der 1. Belorussischen Front und einer der erfolgreichsten Feldherren des Zweiten Weltkrieges, muß durch dieses eigentlich belanglose Vorkommnis so unangenehm berührt worden sein, daß er in seinen "Erinnerungen und Gedanken" die Kämpfe um die Oderfestung nicht erwähnte. Auch General Bokow, 1945 Mitglied des Kriegsrates der 5. Stoß-Armee, konnte sich in seinen, erst Jahre nach dem Krieg verfaßten Memoiren nicht zu einer nachträglichen Korrektur dieses Irrtums durchringen. [53]

Der sowjetische Erfolg in der Küstriner Neustadt überraschte die deutschen Stäbe. Nicht der Fall an sich erstaunte, sondern die Schnelligkeit und die Art und Weise, mit der es geschah. In seinem Bericht über den Kampf der Festung Küstrin vom 9.3.1945 kritisierte das Generalkommando des XI. SS-Panzer-Korps die Führungstätigkeit des Festungskommandanten und benannte als gravierende Fehler: Ein ,,völlig unzureichendes" Meldewesen. Die Ernennung von Oberst Walter zum Abschnittskommandanten. Zu spätes Erkennen der Lage am Abend des 7. März. ,,Noch in der Nacht vom 7./8.3. war der Festung durch das Korps befohlen, Reserven unter rücksichtsloser Entblößung der im Sinne des festliegenden Auftrages weniger entscheidenden Fronten zu bilden. Dieser Befehl ist nach bisherigen Feststellungen nur in unzureichendem Maße befolgt worden. Am 8.3., noch vor Kenntnis des ungünstigen Ablaufs der Kämpfe in Neustadt, wurde die Festung durch das Generalkommando darauf hingewiesen, daß die Abspaltung namhafter Kräfte in Neustadt vermieden werden muß, um nicht die Durchführung des Gesamtauftrages der Festung zu gefährden. ... Über die Kampflage im Raum der Festung fehlte dem Kommandanten jeder Überblick. Ein Einfluß auf die Kampfführung ist am Nachmittag des 8.3. durch den Kommandanten nicht genommen" (worden - d. A.). Diese Vorwürfe erhielten größere Gewichtung, weil gleichzeitig festgestellt wurde, ,,daß die Truppe in Neustadt örtlich dem Gegner harten Widerstand geboten hat". Allerdings ging auch das Generalkommando von einer falschen Feindlage aus, weil es nicht erkannt hatte, daß außer der 295. Schützen-Division auch zwei Regimenter der 416. Schützen-Division angriffen, daß außer den Spezial-Einheiten nicht 3 sondern 5 aufgefüllte Regimenter am Sturm teilnahmen. Es hatte auch die Anzahl der sowjetischen Geschütze und Granatwerfer mit nur 250 Rohren weit unterschätzt.

Daß Stäbe der Heeresgruppe Weichsel und des Oberkommandos des Heeres in diesen Tagen manchmal am tatsächlichen Geschehen vorbeiarbeiteten, zeigte folgender Vorfall: Als in der Nacht vom 10. zum 11.3. der Chef des Generalstabs der Heeresgruppe Weichsel die Genehmigung des Generalstabs des Heeres zur Zerstörung von 10 Brücken in Küstrin erbat, waren die Vorflutkanal-Straßenbrücke bereits am 5.3. durch Feindeinwirkung und die drei Warthe-Brücken am 8.3. durch eigene Pioniere zerstört worden. [54]


 

In und um Küstrin versuchte die Rote Armee, mit psychologischen Mitteln Wirkung zu erzielen und dadurch Blut zu sparen. Flugblätter wurden aus Flugzeugen abgeworfen oder mit Granatwerfern in die Stadt geschossen und die deutschen Stellungen mit Lautsprechereinsätzen bearbeitet. Besonders letzteres erfolgte oft, sehr intensiv und nicht selten bis ins Detail gehend. Darüber schrieb Hermann Körner, der Bürgermeister von Küstrin und Kreisleiter der NSDAP: Der Russe ,,spielte deutsche Märsche, verlas Proklamationen der deutschen Generäle in russischer Gefangenschaft und forderte immer wieder den deutschen Soldaten auf, den Kampf einzustellen. Diese Lautsprecherpropaganda betrieb der Russe überhaupt an allen Küstriner Fronten jeden Tag. Die Sprecher gingen auffallend auf örtliche Verhältnisse ein, was auf die Soldaten besonders wirkungsvoll war. Sie nannten den Festungskommandanten und andere Offiziere sowie auch Hoheitsträger aus Küstrin mit Namen, sagten z. B. auch einmal durch, daß ich wieder einmal ausgerückt sei oder daß sie sich in meiner Wohnung in der Neustadt sehr behaglich fühlten." Außerdem wurden 62 deutsche Kriegsgefangene während des ersten Großangriffs in die Stadt zurückgeschickt, um ihre Kameraden zur Einstellung des Widerstandes zu veranlassen. Innerhalb von drei Tagen meldeten sie sich mit 216 weiteren Soldaten wieder bei den Russen. Hier handelte es sich um Soldaten, die bei der Erstürmung der Neustadt in ausweglose Situationen gerieten. Trotz dieser Fakten blieb der quantitative Erfolg der Unterabteilungen Spezialpropaganda der beiden Belagerungsarmeen in Küstrin gering. Die von dem Politoffizier Burzew genannten hohen Gefangenenzahlen beruhten in den wenigsten Fällen auf der Wirkung der sowjetischen Propaganda. Sie waren das Ergebnis militärischen Niederringens durch einen stärkeren Gegner, der die deutschen Truppen in eine hoffnungslose Lage gebracht hatte, sei es durch Aufsplitterung oder Vereitelung von Ausbruchsversuchen. Beim späteren Fall der Altstadt schuf die deutsche Führung diese Situation selbst, weil sie durch vorzeitige Brückensprengung viele Soldaten von der Räumung ausschloß und ihrem Schicksal überließ. Burzew verschweigt auch den großen Anteil Verwundeter an den in Küstrin gemachten Gefangenen. Allerdings senkte die Propanganda der Roten Armee bei nicht wenigen deutschen Offizieren und Soldaten die Hemmschwelle, in letzter Minute sich doch noch in die gefürchtete ,,russische Gefangenschaft" zu begeben. [55]

An den angeführten Aktionen waren deutsche "Antifaschisten" beteiligt, so unter anderen als Angehörige der Roten Armee Marianne Weinert bei der 5. Stoß-Armee, Stefan Doernberg bei der 8. Garde-Armee sowie mehrere Mitglieder des "Nationalkomitees Freies Deutschland". [56]

1758 - als die Russen Küstrin belagerten - ließ die preußische Führung die Festungsbesatzung täglich ablösen. Fast 200 Jahre später - 1945 - blieb die Garnison 59 Tage im Einsatz und hatte dabei mehr als 14 Großkampftage zu verzeichnen. Die Truppe sah sich, weit vor der HKL, fast in der Einschließung kämpfend, unter Feindeinsicht von allen Seiten, einem an Menschen mehr als dreifach stärkeren Gegner gegenüber mit einer erdrückenden Überlegenheit an Artillerie und Fliegern. Das forderte nicht nur die Anspannung aller körperlichen Kräfte, es steigerte auch die psychische Belastung auf das Äußerste. Dazu kam die Erkenntnis, etwas zu erleben, was man vorher nicht für möglich gehalten hatte: Den Einbruch feindlicher Heere in das Reichsgebiet. Viele Soldaten lebten in Ungewißheit über das Schicksal ihrer Angehörigen. Und sie wurden Zeugen einer täglich größer werdenden Zerstörung ihres Umfeldes.

Zu den regulären Verteidigern zählten - im Gegensatz zu den Belagerern, die zum Beispiel komplette Fraueneinheiten der Flak an den Oderdämmen eingesetzt hatten - nur wenige Frauen. Durch ihre Haltung wurden sie vielen Männern zum Vorbild. Über drei von ihnen berichtete die Oder-Zeitung. Am 8.3. bargen und retteten in der Altstadt zwei DRK-Helferinnen im feindlichen Bombenhagel eine verschüttete Wache der Oderbrücke. Ende Februar schlossen in der Altstadt eine Stabshelferin der Kommandantur und ein Unteroffizier den Bund der Ehe. Sie taten es zu einer Zeit, als sich ihre Heimat ostwärts der Oder bereits in der Hand der Roten Armee befand. Der Autor dieses Buches erinnert sich noch heute mit Dankbarkeit und Hochachtung an die Rote-Kreuz-Schwester im Lazarett im Keller der Knaben-Mittelschule der Altstadt, deren Haltung er in den letzten Tagen und Stunden vor dem Fall der Festung bewunderte. [57]

Von den Männern traf es die aus Küstrin am schwersten - sofern man von den wenigen in der Stadt verbliebenen Frauen und dem Schicksal, das ihnen drohte, wenn sie den Russen in die Hände fielen, absah. Sie erlebten die Zerstörung der eigenen Wohnung durch den Feind, eigene vorbeugende Sprengungen oder deutschen Beschuß. Sie sahen ihre Heimatstadt in Schutt und Asche sinken. Das verursachte für viele kaum vorstellbare seelische Belastungen. In Verbindung mit der hohen physischen Verausgabung führte das, wie NSDAP-Kreisleiter Hermann Körner berichtete, bei nicht wenigen Männern des Volkssturms zum Tod durch Herzversagen, was auch bei Soldaten vorkam. Zunehmend gerieten Offiziere in innere Widersprüche, wenn sie ihren Soldaten Befehle erteilen mußten, die zum Tode führen konnten, die Männer das wußten und um Befehlsverschonung baten. [58]

Neben den Vorbereitungen auf den zweiten Großangriff bestimmten kleinere Handlungen die Tage zwischen dem 13. und 21. März:

  • Wiederkehrendes Störungsfeuer der Artillerie auf die Räume Gorgast, Golzow und Alt Tucheband, unterbrochen von heftigen Feuerüberfällen auf die Dörfer.
  • Scharmützel im Vorfeld der Eisenbahnbrücke über den Vorflutkanal in Kietz.
  • Kämpfe um die Dammeisterei.
  • Scharmützel am Bienenhof.
  • Scharmützel um die Dampfmühle in Kietz mit viermaligem Besitzerwechsel.
  • Stoßtruppunternehmen gegen lästige feindbesetzte Punkte.
  • Durch "Stukas zu Fuß" Ausschaltung der Zellstoffabrik als lästigen Feuer- und Beobachtungspunkt.


Nachdem der erste Großangriff auf die Oderfestung trotz großer taktischer Erfolge sein operatives Ziel verfehlt hatte, befahl das Oberkommando der 1. Belorussischen Front am 13.3.:,,Die 5. Stoß-Armee hat mit zwei verstärkten Schützen-Divisionen am Morgen des 20.3.1945 anzugreifen, die Verteidigung des Gegners im Abschnitt Genschmar - ausschließlich Alt Bleyen - zu durchbrechen, den Hauptstoß auf Golzow und einen Nebenstoß aus dem Raum Alt Bleyen auf Gorgast zu führen, den Raum Genschmar - ausschließlich Golzow und Kuhbrücken-Vorstadt - zu nehmen und danach im Abschnitt der Höhen 16,3 und 10,3 - ausschließlich Golzow - zur Verteidigung überzugehen."Für die 8. Garde-Armee sah der Angriffsbefehl vor, aus dem Reitweiner Brückenkopf, ebenfalls mit zwei verstärkten Schützen-Divisionen in Richtung Gorgast - Golzow anzugreifen und einen Nebenstoß nach Nordosten in Richtung Kuhbrücken-Vorstadt zu führen. [59]

Ziel des zweiten Großangriffes war, mit stärkeren Kräften als beim ersten die deutsche Hauptkampflinie zwischen dem Garmischberg und Hathenow nach Westen zu drücken, die Schlauchstellung an der Wurzel von der HKL zu trennen und zu zerschlagen, dadurch die Küstriner Altstadt einzuschließen und danach zu stürmen. Die 5. Stoß-Armee sah dafür das 32. Schützen-Korps vor. Dessen 60. Schützen-Division sollte Genschmar nehmen und in den Raum Zechin vordringen. Die 295. Schützen-Division hatte zwischen Genschmarer See und der Alten Oder bei Gorgast die Stützpunkte Wilhelminenhof und Tannenhof auszuschalten und den Richtgraben zwischen dem Amt Friedrichsaue und Golzow zu erreichen. Die 416. Schützen-Division beließ zwei Regimenter ostwärts der Oder am nördlichen Wartheufer gegenüber der Altstadt und setzte das 1373. Schützen-Regiment für den Angriff auf Alt und Neu Bleyen ein. Von der 8. Garde-Armee sollte das 4. Garde-Schützen-Korps am Großangriff teilnehmen. Von der 35. Garde-Schützen-Division verblieb ein Regiment zwischen Warthe und Oder vor der Altstadt. Die beiden anderen Regimenter sollten aus dem Raum Kietz in Richtung Gut Alt Bleyen - Kuhbrücken-Vorstadt - Eisenbahnbrücke über den Vorflutkanal angreifen. Die Hauptangriffsrichtung der 47. Garde-Schützen-Division zielte über Gorgast auf Golzow und die der 57. Garde-Schützen-Division auf die Linie Bahnhof Golzow - Alt Tucheband. Teile einer weiteren Division sollten von Hathenow auf Sachsendorf vorstoßen. Für die Erstürmung der Altstadt stand die 82. Garde-Schützen-Division bereit. [60]

Einschließlich starker Panzer- und Fliegerkräfte, Auffüllungen und Verstärkungen verfügte die Rote Armee am 22.3. zwischen dem Garmischberg und Hathenow schätzungsweise über 46.000 bis 54.000 Personen mit ungefähr 2.000 Geschützen und Granatwerfern aller Kaliber. Dem standen auf deutscher Seite etwa 15.000 bis 20.000 Mann mit 500 bis 600 Rohren gegenüber.

Unabhängig von anhaltender Gefechtstätigkeit vor der Eisenbahnbrücke in Kietz und an der Nahtstelle bei Gorgast führten Bomben- und Schlachtflugzeuge mehrere Tage systematische Angriffe auf einzelne deutsche Abschnitte. Am 21.3. flogen am frühen Nachmittag über 200 zweimotorige Bomber in geschlossener Formation einen durch keinerlei Abwehr behinderten Angriff auf die Nahtstelle bei Gorgast und ihr weiteres Umfeld, wo sie zwei Bombenteppiche warfen. Die Erde bebte. Danach trat Stille ein. Die Ruhe vor dem Sturm. [61]

Zuvor hatte es in der Schlauchstellung einen Wechsel gegeben. Die 25. Panzer-Grenadier-Division war abgelöst worden. Bis zum 18.3. 06.00 Uhr hatte die 303. Infanterie-Division "Döberitz" den Abschnitt der Räume Sachsendorf und Alt Tucheband und bis zum 20.3. 06.00 Uhr die Panzer-Division "Müncheberg" - verstärkt durch ein Bataillon der Leibstandarte "Adolf Hitler" - und das Füsilier-Bataillon 303 der Division "Döberitz" die Schlauchstellung übernommen. [62]

In der Nacht vom 21. zum 22.3. verstärkten sich im Raum Gorgast und Golzow das sowjetische Störungsfeuer und die heftigen Feuerüberfälle. Als es am 22.3.1945 hell geworden war, begann der zweite Großangriff auf Küstrin mit einer starken Artillerievorbereitung auf die deutsche HKL. Die folgenden massierten Sturmangriffe von 7 Regimentern des 32. Schützen-Korps und 3 Regimentern der 47. Garde-Schützen-Division überrannten in den meisten Fällen die vorderste deutsche Linie zwischen Genschmar und Manschnow. Zum Teil heftige Kämpfe entwickelten sich jedoch an der Nahtstelle zur 309. Infanterie-Division "Berlin", die ohne wesentlichen Bodenverlust halten konnte, um Genschmar und die nördlich des Stromes - auch "Alte Oder" genannt - gelegenen Stützpunkte Wilhelminenhof und Tannenhof, die nach mehrstündigen Gefechten fielen. Gorgast wurde später von Westen her genommen. (Das Fort Gorgast spielte in den Kämpfen so gut wie keine Rolle. Anzunehmen ist, daß die Kompanien des I. Bataillons des Panzer-Grenadier-Regiments "Müncheberg" 1 vor oder zu Beginn des Trommelfeuers am Morgen ohne Wissen des Bataillonsstabes ihre Stellungen aufgaben, sich in das Fort zurückzogen, dort zwei Angriffe abwehrten und nach Brandlegung im Eingangsbereich mittels vorgerollter Ölfässer kapituliert hatten.) Nachdem die in der Schäferei liegenden Teile des II. Bataillons des Panzer-Grenadier-Regiments "Müncheberg" 2 diese aufgegeben hatten, konnten sich am späten Nachmittag die Spitzen der sowjetischen 5. Stoß- und der 8. Garde-Armee nördlich Gorgast an der Förster-Brücke vereinigen. Der russische Hauptstoß lag beiderseits der Reichsstraße 1 und stieß gut 3 Kilometer nach Westen vor, überschritt die Oderbruchbahn - die hier von Süd nach Nord verlief - wurde aber durch den gegen 17 Uhr beginnenden Gegenangriff der sofort zurückbeorderten 25. Panzer-Grenadier-Division wieder über die Bahn, den Bahnhof Golzow und die Kriegerheimsiedlung zurückgeworfen. Längs der Reichsstraße 1 und der Chaussee von Gorgast nach Golzow griffen sowjetische Panzer in größerer Anzahl an, deren rechter Flügel sich an der Brücke über den Strom nördlich Golzow mit Panzern der 5. Stoß-Armee treffen sollte. Es gelang den Verteidigern, die russische Panzermassierung zwischen Gorgast und Golzow zu stoppen und schwer anzuschlagen. Maßgeblichen Anteil am Abwehrerfolg hatte die II. Abteilung des Panzer-Regiments "Müncheberg" unter Hauptmann Horst Zobel mit dessen geschickter Aufstellung der Panzer - 1. Kompanie bei Gorgast, 2. Kompanie südlich Golzow, die 3. Kompanie östlich Golzow gegen die Brücke über den Strom und gegen Gorgast - und der Standhaftigkeit seiner Truppe. Der südliche Angriffsflügel der Russen lief sich in beiderseitig verlustreichen Kämpfen vor Alt

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Tucheband und dem Lehngut Hathenow an der 303. Infanterie-Division "Döberitz" fest. Starker Artillerie-, Panzer-, sowie rollender Fliegereinsatz (mit geschätzten 1.000 Anflügen) unterstützte die sowjetische Infanterie am Boden und in der Luft. Auch deutsche Schlachtflugzeuge und fliegende Panzerzerstörer bemühten sich um Entlastung der schwer ringenden eigenen Truppen. Die Bilanz des ersten Angriffstages lautete: Trotz Verlusten von 96 Panzern und Sturmgeschützen sowie 24 Flugzeugen hatte die Rote Armee durch zwei massierte Stöße die Schlauchstellung an ihrer Wurzel zerschlagen, den Festungsbereich von allen Verbindungen abgeschnitten und Küstrin erneut eingeschlossen. [63]

In der Nacht vom 22. zum 23.3. wurde das deutsche II. Bataillon des Grenadier-Regiments 764 der 712. Infanterie-Division zur Verstärkung des angeschlagenen Grenadier-Regiments 301 aus dem Raum Lebus in den Raum Alt Tucheband verlegt. Am äußeren Einschließungsring konnten am 23.3. nur die sowjetische 295. Schützen- und die 47. Garde-Schützen-Division ihre Stellungen um 1.000 bzw. 500 Meter Richtung Westen verbessern. Die Angriffe der anderen Divisionen blieben erfolglos. Zu den härtesten Kämpfen kam es beiderseits der Berlin-Küstriner Eisenbahnlinie und der Reichsstraße 1. Hier griffen die Russen mit nachts herangeführten Infanterie- und Panzerreserven unter ständiger Schlachtfliegerunterstützung, mitunter im Schutz künstlichen Nebels, bis zu 14 mal am Tage an! Sämtliche Angriffe scheiterten mit hohen Verlusten. Örtliche Einbrüche wurden im sofortigen Gegenstoß beseitigt. Nachdem die Angreifer noch einmal 71 Panzer eingebüßt hatten, gingen sie zur Verteidigung über. [64]

Am Nachmittag des 23. März vollendeten die sowjetischen Truppen den inneren Einschließungsring. Alt Bleyen (Ortslage) hatten sie am Vortag genommen. Doch südlich davon, nördlich Neu Bleyen, wo Teile des I. und II. Bataillons des Panzer-Grenadier-Regiments "Müncheberg" 2 verteidigten, und am Gut Alt Bleyen wurden sie aufgehalten. Das Gut war zum starken Stützpunkt ausgebaut worden. Es sollte Schweigestellung bleiben, bis es selbst angegriffen würde. Sein Umfeld verteidigten von der Division "Döberitz" das Füsilier-Bataillon 303 (das taktisch führte), die 4. (schw.) Kompanie des I. Bataillons des Panzer-Grenadier-Regiments "Müncheberg" 2, der Sturmgeschützzug der 2. Kompanie der II. Abteilung des Panzer-Regiments "Müncheberg", 2 fest eingebaute 8,8-cm-Pak sowie zum Erdkampf eingebaute 2 - eine davon in der Dammstraße - 8,8-cm-Flak der Festungsbesatzung Küstrin. Außerdem befanden sich hier ein VB zur Feuerlenkung der deutschen schweren Artillerie - die hinter der HKL im Raum Seelow stand - und im Keller eines Wirtschaftsgebäudes ein Verbandsplatz. Hier entbrannten mehrtägige, heftige Kämpfe, bei denen die Russen vor allem starke Schlachtflieger- und im Oval der beiden Oderdämme auch Panzerunterstützung erhielten. Die Auseinandersetzungen endeten mitunter in Nahkämpfen und dem Verschleiß einzelner Einheiten. Ausgangs des 26.3. gelang den Angreifern nach Verlust von 9 Panzern der Durchbruch nach Neu Bleyen und dessen Eroberung. Die deutschen personellen Ausfälle dieses Tages waren beträchtlich. Daraufhin, und wegen des inzwischen eingetretenen Munitionsmangels, mußten die zusammengeschmolzenen und fast eingeschlossenen Verteidiger in der Nacht zum 27. März unter Zurücklassung schwerer Waffen und nicht gehfähiger Verwundeter auch das Gut Alt Bleyen aufgeben. [65]

Zweimal versuchten HGW und AOK 9, die eingeschlossene Festung zu entsetzen. Beim ersten Mal, in der Nacht vom 23. zum 24.3., sollten Teile der 20. - südlich der Reichsstraße 1 - und der 25. Panzer-Grenadier-Division - nördlich der Reichsstraße 1 - den Raum Manschnow-Gorgast im Bogen der Alten Oder freikämpfen. Der Angriff wurde ein Mißerfolg. Der gepanzerten Kampfgruppe der 25. Panzer-Grenadier-Division gelang der Einbruch in Gorgast, und damit die Annäherung an den Küstriner Kessel bis auf 3

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Kilometer, doch wurde sie hier zum Stehen gebracht und bis zum Morgen wieder auf ihre Ausgangsstellungen zurückgeworfen. Von der 20. Panzer-Grenadier-Division erreichte nur ein Bataillon vorübergehend die westlichen Ausbauten von Manschnow, andere blieben weiter zurück. Fühlbare Ausfälle und Motivationsverluste waren das Ergebnis einer ungenügenden Vorbereitung des deutschen Angriffs und schlechter Abstimmung der Waffengattungen untereinander. Der zweite Entsatzangriff erfolgte am 27.3. zwischen der Reichsstraße 1 und Genschmar mit vier geschwächten Divisionen und einer Kampfgruppe. (25. Panzer-Grenadier-Division, 20. Panzer-Grenadier-Division, Führer-Grenadier-Division, Panzer-Division "Müncheberg" und Kampfgruppe "1001 Nacht".) Auch er lief sich nach geringem Geländegewinn in der sowjetischen Abwehr fest. In seiner TM vom 27.3. meldete das AOK 9: ,,Eine Wiederholung des Angriffes verspricht keinen Erfolg." An Verlusten nannte es ,,nach bisherigen Unterlagen" 5 Kommandeure, 68 weitere Offiziere, 1.215 Unteroffiziere und Mannschaften. Allein bei ihrem Angriff auf Genschmar verlor die Kampfgruppe "1001 Nacht" von 390 Mann 219, von 49 Sturmgeschützen 25, schoß aber selbst 19 Panzer und Sturmgeschütze sowie 1 Schützenpanzerwagen des Gegners ab. Erneut wies die deutsche Vorbereitung Mängel auf, wie ungenügende Aufklärung des Gefechtsfeldes, Nichtbeachtung der speziellen Charakteristik des Oderbruchs und zu geringen Zeitansatz. [66]

Dieser Fehlschlag führte am 28.3. bei der Lagebesprechung im Berliner Führerbunker - an der auch Generaloberst Heinrici, seit 22.3. neuer OB der Heeresgruppe Weichsel, und General Busse, OB der 9. Armee, teilnahmen - zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Adolf Hitler und Generaloberst Guderian, wobei der Generalsstabschef des Heeres zu einer längeren Kur entlassen wurde.

Bereits in der Nacht vom 26. zum 27. März hatte ein als Überläufer getarnter sowjetischer Parlamentär der 8. Garde-Armee ein Ultimatum mit dem unten abgebildeten Inhalt überbracht: [67]

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Rückseite

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Parallel dazu warfen für die Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere der Küstriner Garnison Flugzeuge Flugblätter ab oder schossen sie mit speziellen Granatwerfergranaten in die Festung. [68]

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Rückseite

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Das Ultimatum wurde zur Kenntnis genommen, aber nicht beantwortet. Nach dem mißlungenen zweiten Entsatzversuch wußte der Festungskommandant von Küstrin, daß ein Entsatz nicht mehr zu erwarten war. Damit begann das letzte Kapitel des Festungskampfes: Der Generalangriff der Roten Armee auf die Altstadt und die Vernichtung der eingeschlossenen Besatzung. Seit Beginn des zweiten Großangriffs hatten sich hier Bombardement und Beschuß verstärkt. Bereits am 25. März war der nordöstliche Teil unter ein fünfstündiges Trommelfeuer aller Kaliber geraten. Anschließend waren 165 Anflüge sowjetischer Flugzeuge erfolgt, die zunächst Bomben und danach Phosphorkanister abgeworfen hatten, die Flächenbrände auslösten. Unter den Fliegerbomben befanden sich erbeutete deutsche, was an 10-Zentner-Blindgängern festgestellt wurde. In der Nacht vom 25.3. zum 26.3. hatte ein Bombenvolltreffer in das dritte Feld die Straßenbrücke über die Oder zum zweiten Mal unterbrochen. Deutsche Flieger traten kaum noch in Erscheinung. Selten flogen welche an und versuchten im Tiefflug, Nachschubcontainer ins Ziel zu werfen. Der 26. März brachte der Altstadt noch stärkeren Beschuß. Sechsmal wurde er durch Angriffe aus der Luft unterbrochen. Eine kleine Brandbombe setzte Kartuschen eines Stielgranaten-Lagers in Brand, das eine Explosion auslöste, wodurch die Odermalzfabrik auf der Insel in Brand geriet und ausbrannte. In dem Flammenmeer verbrannten lebendigen Leibes etwa 20 Offiziere und Mannschaften. Am 27.3. forcierten gegen 3 Uhr Einheiten der 416. Schützen-Division die Warthe und setzten sich auf dem Gorin fest. Am Morgen stürmten die Russen erneut, und diesmal endgültig, den Bienenhof - den letzten der vorgeschobenen Stützpunkte Küstrins. Sie nahmen auch den Bahnhof Kietzerbusch, erreichten den Südostrand der Altstadt, wurden aber noch einmal auf die Straßen- und Eisenbahngabelungen zurückgeworfen. Dabei war auch der letzte fest eingebaute Pantherturm ausgefallen. [69]

Ausgangs des 27.3. hielten die deutschen Verteidiger noch Kuhbrücken-Vorstadt, einen schmalen Geländestreifen westlich des Vorflutkanals (mit der Lünette D) bis zum kleinen Brückenkopf vor der Eisenbahn- und der zerstörten Straßenbrücke, die Insel mit dem Mittelhöfel und dem größten Teil des Gorins, sowie zwischen Oder und Warthe die Altstadt. 1945 gab es wohl keine Stadt in Ostdeutschland, die so lange und so intensiv unter Beschuß und Bombardements geriet und so oft brannte, wie die kleine Küstriner Altstadt. 1.400 mal 700 Meter betrug ihre größte Ausdehnung. Sie bestand Ende März 1945 fast nur noch aus zerschossenen und ausgebrannten Gebäuden sowie den Befestigungen vergangener Jahrhunderte. Wo die Haus-an-Haus-Bebauung es zuließ, entstanden durch Kellerdurchbrüche Wege unter der Oberfläche, bis schwere Volltreffer sie vorübergehend wieder unterbrachen. Und es existierte Leben in dieser Stätte der Zerstörung und des Sterbens. In den Kellern und Kasematten vegetierten Soldaten, bis Befehle oder Alarmrufe sie herausriefen. Sie warteten darauf, den Angreifern entgegentreten zu müssen, wobei von Tag zu Tag ihre Erkenntnis wuchs, doch der Übermacht der Russen zu erliegen, wenn keine Hilfe von außen kam. Und wer auch daran nicht mehr glaubte, der hoffte auf den Befehl zum Ausbruch. Der Hauptverbandsplatz befand sich in den Kellern der Artillerie-Kaserne. Rund um die Uhr bemühten sich hier die Ärzte um die Notversorgung der täglich mehr anfallenden Verwundeten. Die Chirurgen waren total übermüdet. Nur die dringendsten Fälle konnten noch operiert werden. Das traf auch auf das Schwerverwundetenlazarett im Keller der Schloßkaserne zu. Und das Hilfslazarett in der Knaben-Mittelschule besaß nur noch einen Arzt mit wenigen Pflegekräften für kampfunfähige Verwundete, doch ohne die Notwendigkeit einer sofortigen Operation. [70]

Für den Generalangriff auf die Altstadt setzte die 8. Garde-Armee die 82. Garde-Schützen-Division auf dem Ostufer der Oder an. Auf der Altstädter Insel sollte ein Regiment der 35. Garde-Schützen-Division den Bereich Artillerie-Kaserne - Bahnhof Altstadt - Oderablage stürmen. Dazu setzte es in der Nacht zum 28.3. auf den Mittelhöfel über. Auf Kuhbrücken-Vorstadt war das 1373. Regiment der 416. Schützen-Division angesetzt und gegen die sich westlich des Vorflutkanals noch haltenden deutschen Einheiten zwei weitere Regimenter der 35. Garde-Schützen-Division. Zum Schießen in direktem Richten bezogen je eine Batterie schwerer 203-mm-Haubitzen Stellung am linken Oderdamm bei Kietz, am rechten Oderdamm südlich der Altstadt und bei Säpzig. Für den 28.3. war eine ganztägige Beschießung durch Artillerie geplant, unterstützt von rollenden Angriffen aus der Luft. Am Vormittag des folgenden Tages sollte nach einer erneuten starken Feuervorbereitung die Erstürmung der Altstadt beginnen, wobei parallel dazu mit der Einnahme der Altstädter Insel und des westlichen Vorflutkanalufers gerechnet wurde. Doch der tatsächliche Ablauf gestaltete sich etwas anders. [71]

Fast wäre am 28.3. Generaloberst Tschuikow, der OB der 8. Garde-Armee und während des zweiten Großangriffs Verantwortliche für die Niederkämpfung des Küstriner Kessels, deutschem Granatfeuer zum Opfer gefallen. Als er Angriffsvorbereitungen kontrollierte, fielen er und seine Begleitung an einem Wasserturm nordwestlich Säpzig deutschen Artillerie-Beobachtern auf und geriet in den von ihnen ausgelösten gut gezielten Beschuß. Die Russen büßten dabei einen Toten und einen Verwundeten ein. [72]

Am Vormittag des 28.3. begannen Fliegerverbände und Batterien das verstärkte Bombardement der Küstriner Altstadt. Erneut entwickelten sich Flächenbrände. Die bereits verwüstete Altstadt verwandelte sich endgültig in ein Trümmerfeld. Aber sie wehrte sich auch. Unweit der Knaben-Mittelschule heulten an diesem, wie auch schon am Vortage in regelmäßigen Abständen "Stukas zu Fuß" auf und jagten ihre großkalibrigen Geschosse den Russen entgegen. In einigen unzerstört gebliebenen Kellern funktionierte noch der Radioempfang. Während die Gebäude unter den Detonationen zitterten, meldete mittags der tägliche Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht lakonisch: ,,Die tapfere Besatzung der Festung Küstrin schlug fortgesetzte Angriffe des Gegners ab." Entgegen der ursprünglichen Absicht stürmten Truppen der 8. Garde-Armee bereits am Nachmittag des 28.3. von der Sonnenburger Chaussee her das Kietzer Tor und kämpften sich bis zum reichlich 200 Meter entfernten Marktplatz vor. Etwas später standen ihre Angriffsspitzen unweit des teilweise brennenden Schlosses. Weitere Rotarmisten erreichten von Nordosten her das Amtsgericht und den Marktplatz. Schützen der 5. Stoß-Armee drückten auf dem Gorin in Richtung Oder. Kurz vor Einbruch der Dämmerung erfolgte mit greifbaren Kräften und Unterstützung eines "Hetzers" ein verzweifelter deutscher Gegenstoß, der die gegnerischen Sturmgruppen aufhielt und teilweise wieder zurückwarf. Erst die Dunkelheit beendete das Inferno. [73]

Auch westlich der Oder hatte der 28.3. zu schweren Kämpfen geführt. Auf dem Mittelhöfel entbrannten Gefechte am Pappelhorst und um die Lünette dort. Am Abend saßen Russen im alten Befestigungswerk, und sowjetische Infanterie lag zwischen diesem und der Artillerie-Kaserne. ,,Bataillonsstarke, von Panzern unterstützte Angriffe aus Kietz und Neu Bleyen führten zu mehreren tiefen Einbrüchen, die in wechselvollen Kämpfen nicht beseitigt werden konnten", meldete am Abend der Festungskommandant dem AOK 9. Und weiter: ,,Infolge der hohen Ausfälle an Menschen und Material (70 Prozent der Offiziere und sämtliche schweren Waffen) geht der Kampf in der Festung seinem Ende entgegen." Für den Abend des 28. März hatte SS-Gruppenführer Reinefarth die Aufgabe der Altstadt befohlen. Dementsprechend informierte gegen Mittag der Kampfkommandant Altstadt, Major Kulla, den Führer des Volkssturms, Hauptmann der Reserve Tamm, (und vermutlich auch weitere Kommandeure) daß am Abend geräumt würde und der Volkssturm als Nachhut den letzten Fluchtweg, die Eisenbahnbrücke über die Oder, verteidigen müsse. [74]

Das Absetzen aus der Altstadt, die nicht mehr zu halten war, war schlecht organisiert und verlief chaotisch. Am Nachmittag setzte der Exodus langsam ein und nahm zum Abend stetig zu. Es gab keine abgestimmten Befehle. Manchmal erreichten sie die vordersten Sicherungsketten, Gruppen und größere Einheiten nicht oder nicht eindeutig, und die Betroffenen fühlten sich alleingelassen. Freund und Feund wünschten die Dunkelheit herbei, die Ruhe brachte. Als sich eine Gruppe Ofenrohr- und Panzerfaust-Schützen, die gegen Angriffe aus Richtung Kietzer Tor zur Sicherung der Schloßzugänge in den Gräben an den rauchenden Ruinen des Marktplatzes eingesetzt waren, verlassen vorkam, fand sie bei der Suche ein fast leeres Schloß, mit Ausnahme des Lazarettes im Keller, wo die Schwerverwundeten im Tagesverlauf Eierhandgranaten zur Selbsttötung erhalten hatten. Im Hilfslazarett der Mittelschule hieß es nach Einbruch der Dunkelheit: ,,Die Altstadt wird geräumt!" Die gehfähigen Verwundeten schickte man zu ihren Einheiten zurück oder wenigstens auf das linke Oderufer. Die Sprengung der Eisenbahnbrücke, der letzten intakten Oderbrücke, erfolgte aus Nervosität und fehlendem Mut zu zeitig. Außerdem riß sie noch darauf befindliche Flüchtende in den Tod. Ein bewußteres Handeln von wenigen Offizieren mit einer disziplinierten Truppe hätte die Brücke länger offenhalten und mehr Gehfähigen den Rückzug auf das linke Oderufer ermöglichen können. Eine mangelhafte deutsche Führung war dazu nicht in der Lage. Danach gelang es nur noch einem kleinen

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Teil der am Ostufer Verbliebenen, den Strom mit Booten, Schlauchbooten oder kletternd und schwimmend zu überqueren. Denn die inzwischen zum Oderufer vorgestoßenen Russen beschossen alle sichtbaren Ziele auf dem Strom. Zurückgeblieben war auch das zusammengeschmolzene Volkssturm-Bataillon Tamm. Als sein Rückzug doch noch erlaubt wurde, war es zu spät; die Brücke gesprengt und die reservierten Schlauchboote von anderen genutzt. Sein Führer, Hauptmann d. R. Gustav Rudolf Tamm, beriet sich daraufhin mit seinen Männern und kapitulierte in den ersten Stunden des 29. März. Davon wußten nur die Angehörigen seines Bataillons, oder wer sich bei diesem zufällig aufhielt. Die Übrigen erwarteten den kommenden Morgen und die Sieger beklommenen Herzens. Vereinzelte, die noch Widerstand leisteten, verloren ihr Leben. Auch wer sich ergab, war dessen nicht immer sicher. Soldatinnen erschlugen oder erschossen vor der Eisenbahnbrücke 17 von 28 waffenlosen Männern der Waffen-SS. General Tschuikow schrieb in seinen Memoiren, daß die Altstadt gestürmt worden sei. Nach dem Luftbombardement wäre ab 10 Uhr ein 40-minütiger Beschuß durch die gesamte sowjetische Artillerie erfolgt, und ab 10.30 Uhr hätte die Anlandung der 82. Garde-Schützen-Division begonnen. Mittag habe die rote Fahne über den Festungsanlagen geweht. Kurz danach habe er Marschall Shukow den Erfolg melden können und daß allein das Regiment Plekin 1.760 Gefangene gemacht hätte. [75]

SS-Gruppenführer Reinefarth hatte seinen Gefechtsstand noch am Abend des 28.3. auf das linke Oderufer in einen Keller der Artillerie-Kaserne verlegt. Ihm schloß sich der Bürgermeister von Küstrin und NSDAP-Kreisleiter, Körner, an. Weil dieser in der Kaserne kein Unterkommen fand, zog er mit seiner Gruppe nach Kuhbrücken-Vorstadt, wo der Kreisstab mit in Stellung ging und sich eingrub. Die noch nicht zerstörten Keller der Artillerie-Kaserne beherbergten jetzt die Gefechtsstände des Festungskommandanten und des Abschnittskommandanten Major Wegner, den Hauptverbandsplatz und viele Verwundete. Soldaten suchten hier Schutz vor sowjetischem Beschuß aus Infanteriewaffen, der Artillerie und aus der Luft. Die aus der Altstadt Geflüchteten mußten neu geordnet und eingewiesen werden. Das Durcheinander nutzten viele für Drückebergerei. Vom Mittelhöfel her griffen Rotarmisten die letzte Grabenstellung vor den Kasernen an. Gegenstöße warfen den Gegner nur vorübergehend zurück. In der Nacht vom 28.3. zum 29.3. versuchte ein Stoßtrupp die Rückgewinnung der alten Lünette am Pappelhorst. Das Unternehmen schlug fehl. Der deutsche Stoßtrupp wurde aufgerieben. [76]

Am Gründonnerstag, den 29.3., verstärkten die Truppen der 8. Garde- und der 5. Stoß-Armee ihre Anstrengungen, auch die links der Oder verteidigenden Teile der Festungsbesatzung zu zerschlagen. Das führte zu schweren Kämpfen, ließ die Angreifer aber noch nicht das angestrebte Ziel erreichen. Die Russen nahmen die letzten deutschen Stellungen unter stundenlangen Beschuß, der von deutscher Seite nicht mehr erwidert werden konnte. Im Laufe des Tages erreichte die Belastbarkeit der Verteidiger ihre Grenzen. Im Bereich der Artillerie-Kaserne trat sowjetische Infanterie aus dem Pappelhorst fünfmal zum Angriff an. Viermal wurde sie aufgefangen und im sofortigen Gegenstoß zurückgeworfen. Der letzte Sturmangriff am Nachmittag ließ sie zum Kasernenkomplex durchbrechen. Ein Teil der Kasernen brannte. Mangels Gerät, und durch das Feindfeuer bedingt, ließen sich die Brände nicht mehr löschen. In den Kellern bemühten sich Ärzte und Sanitäter um die Verwundeten, sofern diese die Lazarettkeller erreichten. Gestorbene konnten nicht mehr ins Freie verbracht und beerdigt werden. Immer wieder durchkämmten Offiziere die Keller nach Zuflucht suchenden aber noch kampffähigen Soldaten und versuchten, sie wieder in die Reihe der Kämpfenden einzureihen. Teilweise unter Androhung von Waffengewalt mit gezogener Pistole. Meistens mit geringem Erfolg. Hier zeigten sich erste Auflösungserscheinungen der Verteidiger. [77]

Als die Sicherung überlebenswichtiger Stellungsabschnitte manchmal der Führung zu entgleiten schien, retteten erfahrene Soldaten die Lage. Am 29.3. fanden sich ohne Befehl zwei Wachtmeister, zwei Unteroffiziere und drei Obergefreite auf der Inselseite der Straßenbrücke nach Kietz gerade noch rechtzeitig ein, um einer gegnerischen Einheit, die sich am Damm des Vorflutkanals von der alten Lünette zur Straßenbrücke nach Kietz und der dahinter liegenden Eisenbahnbrücke vorarbeitete, den Weg zu verlegen, ihr starke Verluste zuzufügen und wieder zurückzuwerfen. [78]

Parallel zum Endkampf in Küstrin stellte der Chef des Generalstabs der 9. Armee um 12.45 Uhr beim I a der Heeresgruppe Weichsel telefonisch den Antrag, der Festungsbesatzung den sofortigen Ausbruch zu genehmigen, weil diese sonst verloren sei. Um 12.55 Uhr erfolgte die Antragstellung beim Chef der Operationsabteilung des Heeres. Die endgültige Entscheidung traf Adolf Hitler. Seine Ablehnung lautete: ,,Festung ist unter allen Umständen zu halten. Luftversorgung ist durchzuführen." Drei Stunden nach der Antragstellung erreichte die Antwort den Festungskommandanten in Küstrin. [79]

Unter dem Feuerschutz ihrer schweren und Infanteriewaffen landeten Rotarmisten nördlich des Bahnhofs Küstrin-Altstadt, der auf der Insel lag. Ein Gegenstoß vernichtete die feindliche Landungsgruppe. Aus dem Raum Vorflutkanalbrücken - Lünette D meldeten die Verteidiger über Funk die Abwehr eines Feindangriffs aus Kietz. Kuhbrücken-Vorstadt erlebte am Nachmittag seinen dramatischen Höhepunkt. Nach stundenlanger Feuervorbereitung traten sowohl aus Richtung Neu Bleyen als auch von Westen her Truppen der 416. Schützen- und der 35. Garde-Schützen-Division zum Angriff an. Sie brachen in die deutsche Stellung ein. Die Verteidiger wankten. Doch dann kam es zu einem erbitterten Nahkampf. Dabei wurde auf deutscher Seite die Munition knapp. In diesen Minuten forderte der in Kuhbrücken eingesetzte deutsche vorgeschobene Beobachter das Feuer der etwa 20 Kilometer entfernt im Raum Seelow stehenden schweren Artillerie an, die sich um ungefähr 100 Meter verschoß. Nacheinander orgelten die schweren Granaten heran, schlugen auf deutscher Seite ein und detonierten nicht. Es waren sämtlichst Blindgänger! Ein Melder des zuständigen Kommandeurs forderte die Verteidiger auf, bis zur Dunkelheit noch durchzuhalten, dann käme die Rettung! Schließlich gelang es Angehörigen der Waffen-SS, den Resten des Füsilier-Bataillons 303 und des II. Bataillons des Panzer-Grenadier-Regiments 1 sowie Volkssturmmännern mit dem NSDAP-Kreisleiter, die Angreifer wieder über die Oderdammstraße zurückzuwerfen, stellenweise nur auf die andere Dammseite. Danach trat Ruhe ein. Mitunter trennte lediglich die Breite der Dammstraße, das heißt, etwa 10 Meter, Verteidiger und Angreifer. Offiziere und ein Arzt überprüften in den wenigen Kellern die Verwundeten, ob sie noch eine Waffe halten konnten, und nahmen die Kampffähigen mit. Am Nachmittag des 29.3. wußte jeder in Kuhbrücken-Vorstadt, daß das der letzte deutsche Abwehrerfolg gewesen war. Um 15.44 Uhr, als hier der blutige Nahkampf tobte, quittierte in der Artillerie-Kaserne der Festungskommandant, SS-Gruppenführer Reinefarth, einen ,,Führer-Befehl zum Weiterkämpfen", der angesichts der verzweifelten Lage ein Befehl zum Sterben war. [80]

Am Abend fand eine Kommandeursbesprechung beim Festungskommandanten statt. Die Offiziere erklärten übereinstimmend, daß aufgrund der hohen Verluste, fehlender schwerer Waffen und Munition sowie des Erschöpfungszustandes der Truppe der nächste russische Angriff nicht mehr abzuwehren sei. Gruppenführer Reinefarth verwies auf den letzten Führerbefehl vom Nachmittag, der die Aufgabe Küstrins untersage. Er sähe jedoch die Unmöglichkeit weiteren Widerstandes ein. Weil ihm der Ausbruch der Restbesatzung verboten sei, stelle er den Kommandeuren frei, nach eigenem Ermessen zu handeln. Allerdings müsse ein gemeinsamer Zeitpunkt für den Ausbruch festgelegt werden. Anschließend erfolgte in einer weiteren Besprechung die Festlegung von Ort, Zeitpunkt, Bereitstellung und taktischem Vorgehen. Vermutlich wurde dabei der Zeitpunkt der Sprengung der Eisenbahnbrücke über den Oder-Vorflutkanal auf den ersten zu hörenden Kampflärm der Ausbrechenden terminiert. Eine Festlegung mit fatalen Folgen! [81]

Gegen 23 Uhr erschien der Festungskommandant mit Begleitung in Kuhbrücken-Vorstadt. Zuvor hatten die Festungsfunker den letzten Funkspruch abgesetzt:

,,Feind steht vor Artillerie-Kaserne.
Insel nicht mehr zu halten. Greife westlich Oder an.
Zur Zeit keine Verbindung."

Der Inhalt dieses Funkspruchs diente allein der Rechtfertigung SS-Gruppenführer Reinefarths vor einer erwarteten kriegsgerichtlichen Untersuchung, informierte aber nicht das an der HKL befehlsführende Generalkommando XXXIX. Panzer-Korps über Durchbruchsabsicht, -abschnitt und -zeit. Das hatte zur Folge, daß die Ausbrechenden vor der eigenen HKL zunächst als Russen angesehen und unter heftigen deutschen Beschuß gerieten, der nicht ohne Verluste blieb. Der Ausbruch war schlecht organisiert. Die Eisenbahnbrücke über den Oder-Vorflutkanal wurde zu zeitig gesprengt und löste ein verheerendes sowjetisches Granatwerferfeuer aus. Die größere, nördliche Gruppe der Ausbrechenden erreichte von der Wegespinne in Kuhbrücken-Vorstadt aus - dabei das Gut Alt Bleyen und die Schäferei südlich passierend - im Raum nördlich Golzow die deutschen Linien. Unter den etwa 1.000 Durchgebrochenen befanden sich der Festungskommandant und der NSDAP-Kreisleiter. Die südliche Gruppe mußte an der Kaiserallee sechs oder siebenmal angreifen, bis der Einschließungsring zerriß. Sie ließ das Gut Alt Bleyen nördlich und die Schäferei und den Tannenhof südlich liegen und erreichte mit rund 300 Personen südlich des Wilhelminenhofes die eigene HKL. Die übrigen Teilnehmer fielen, gerieten Karfreitagvormittag in Gefangenschaft oder wurden von den Rotarmisten einfach niedergeschossen. Am Morgen des 30. März besetzte die Rote Armee die letzten Teile Küstrins: Die Altstädter Insel und den schmalen Landstreifen westlich des Oder-Vorflutkanals von den Kietzer Brücken über die Lünette bis nach Kuhbrücken-Vorstadt. Dabei nahm sie zahlreiche verwundete oder beim Ausbruch zurückgebliebene deutsche Soldaten gefangen. Die vermutlich letzten deutschen Gefangenen wurden am 31.3. mittags eingebracht: Ein Obergefreiter und ein ROB-Gefreiter, der Autor dieses Buches, beide verwundet, in der Nähe des Tannenhofs. Sie hatten sich am Vortage, totstellend, auf einer kleinen Sandbank im Oder-Vorflutkanal verborgen. [82]

Die Auseinandersetzungen der zweiten deutschen Ausbruchsgruppe mit den Rotarmisten hatten in der Nacht vom 29. zum 30.3. eine kaum vorstellbare Härte erreicht. Der sowjetische General Bokow zitierte hierzu einen hochdekorierten Starschina: ,,Unser Zug drang in eine gegnerische Stellung ein und kämpfte nachts vor dessen Graben, der an einem der Dämme entlangführte. Uns trennten nur fünfzehn bis zwanzig Meter. Als die Faschisten zum Gegenangriff übergingen, versuchten sie unseren Zug zu umgehen. Wir schwenkten ein und warfen sie in ihren Schützengraben zurück. Ich erinnere mich nicht mehr, wie oft sie sich auf uns stürzten, aber das Gefecht wogte die ganze Nacht hindurch. Es war eine mondlose Nacht, und der Gegner konnte sich in der Dunkelheit unbemerkt bis auf sieben Meter an uns heranschleichen. Erst da bemerkten wir ihn. Die Faschisten waren nur an den Stahlhelmen von den unseren zu unterscheiden. Gegen Morgen, als wir den letzten Gegenangriff zurückgeschlagen hatten, drangen wir in den Schützengraben ein. Ich hatte bereits bei Leningrad, am Dnestr und der Weichsel gefochten, doch der Nahkampf, der an diesem Damm entbrannte, stellte alles Bisherige in den Schatten. Ich mußte mehrmals meine Handgranaten wie einen Hammer gebrauchen. Die Faschisten nutzten jede Deckung und sprangen mich von hinten an. Einer versuchte, mich zu erwürgen. Endlich begann es zu dämmern. Die Schüsse verstummten. Als wir auf den Damm stiegen, standen Deutsche mit erhobenen Händen und weißen Fahnen vor uns. Vergeblich hatten sie versucht, aus dem Ring bei Küstrin auszubrechen." [83]

Die 1. Belorussische Front hatte einen wichtigen Erfolg errungen. Der Verkehrsknotenpunkt Küstrin war freigekämpft, die Brückenköpfe der 5. Stoß- und der 8. Garde-Armee waren vereinigt und die vorgeschobene deutsche Bastion auf dem rechten Oderufer zerschlagen worden. Das sowjetische Hauptquartier würdigte das mit einem weiteren Dankbefehl und ließ in Moskau erneut Ehrensalut schießen. Am nächsten Tag berichteten internationale Zeitungen darüber mit Schlagzeilen wie ,,Großer russischer Sieg" und ,,Starke deutsche Festung Küstrin erobert". Die Schlacht um Berlin konnte beginnen.

Küstrin lag in Trümmern. Die Zerstörungsrate in der Neustadt betrug 92 Prozent, in der Altstadt (ohne Insel) 100 Prozent und in Kietz 98 Prozent. Die personellen Verluste (ohne Zivilisten, Dienstverpflichtete und Fremdarbeiter) beliefen sich im Kampfraum Küstrin - einschließlich Schlauchstellung und HKL - auf deutscher Seite auf rund 5.500 Gefallene, knapp 10.000 in das Hinterland transportierte Verwundete und fast 6.000 meist verwundete Gefangene. Davon entfielen auf den Festungsbereich allein 53 % der Toten, 31 % ausgefahrene Verwundete und 71 % der Gefangenen. (Diese Zahlen beinhalten nicht 500 bis 600 Zivilisten, die bei der Erstürmung der Neustadt in russische Gewalt gerieten.) Viele Verwundete wurden mehr als einmal verwundet. Die Ausfälle der Roten Armee sind mit 6.000 Gefallenen und 12.000 Verwundeten anzunehmen. Bei der Belagerung und der Erstürmung Küstrins sowie dem Kampf um die Schlauchstellung (einschließlich ihrer Verwurzelung in die HKL) verloren die sowjetischen Truppen zwischen dem Garmischberg und Sachsendorf über 290 Panzer und Sturmgeschütze sowie mindestens 40 Flugzeuge. (Diese Zahlen beinhalten nicht die Abschüsse der Kämpfe in den Räumen Garmischberg - Henriettenhof und Reitwein - Rathstock - Hathenow von Anfang Februar bis Mitte März.) Nicht bekannt sind die Verluste der Wehrmacht an Waffen und Gerät. [84]

Die Nichtverwundeten unter den Ausgebrochenen kamen zumeist in die Mars-la-Tour-Kaserne nach Fürstenwalde. Obwohl innerlich ausgebrannt, wurden sie in den Folgetagen notdürftig auf den nächsten Einsatz vorbereitet. Die Offiziere unter ihnen wurden formell unter Bewachung gestellt und mußten zunächst noch kriegsgerichtliche Vernehmungen über sich ergehen lassen mit manchmal rüden und unsinnigen Vorwürfen. Gegen den unter persönliche Bewachung gestellten Festungskommandanten SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Heinz Reinefarth sollte auf Befehl Hitlers eine kriegsgerichtliche Untersuchung eingeleitet werden, weil er nicht den letzten Befehl des Führers befolgt hatte, obwohl sein Handeln der Lehre von Clausewitz entsprach. Sie verlief im Sande, weil sie die Ereignisse bis zur deutschen Kapitulation überholten. [85]

Noch 1945 errichtete die siegreiche Rote Armee auf Befehl Marschall Shukows auf der Bastion König der ehemaligen Küstriner Festung ein Ehrenmal. Es war das östlichste von dreien (Küstrin, Seelow, Berlin-Tiergarten), die an den Siegeszug der 1. Belorussischen Front längs der ehemaligen Reichsstraße 1 erinnern sollen.

Der Zweite Weltkrieg machte Küstrin zu einer der meist zerstörtesten Städte Deutschlands und durch die neue Grenzziehung mit Ausnahme von Kietz, Kuhbrücken-Vorstadt und der Altstädter Oderinsel zu einer polnischen Stadt. Wegen der furchtbaren Kriegszerstörungen bezeichneten die Polen die Küstriner Altstadt anfangs als polnisches >Hiroschima<, und deutsche Zeitungen ein halbes Jahrhundert danach als >brandenburgisches Troja< oder das >Pompeji des 20. Jahrhunderts<. [86]


  

Quellen und Anmerkungen

1 Vgl.
- Busse, Die letzte Schlacht der 9. Armee, in Wehrwissenschaftliche Rundschau 4/1955, S. 145-168.
- Mehner, Die geheimen Tagesberichte der Deutschen Wehrmachtführung im Zweiten Weltkrieg, Band 12, S. 430.
- TM HGW vom 7.2.45, WF-03/5083 Blatt 91 und des AOK 9 vom 12.2.45, WF-03/5083 Blatt 403.
- Stellungnahme des AOK 9 zu den Zustandsberichten vom 1.3.45.
2 Vgl.
- Bokow, Frühjahr des Sieges und der Befreiung, S. 106.
- Bagramjan, Geschichte der Kriegskunst, S. 353.
- Schumann u. a., Deutschland im zweiten Weltkrieg, Band 6, S. 702.
- Tagesmeldungen der Heeresgruppe Weichsel, des AOK 9 und des Festungskommandanten von Küstrin, Februar und März 1945, WF-03/5086 und WF-03/17398.
- Auch 65 Jahre nach dem Geschehen besteht noch immer keine Klarheit über die wirkliche Höhe der sowjetischen Verluste an der brandenburgischen unteren Oder. Sicher ist nur, daß der Wahrheitsgehalt sowjetischer und danach russischer Angaben sehr vorsichtig einzuschätzen ist.
3 Vgl.
- Braun u.a., Die Festung, Heft 8.
- Schumann u.a., Deutschland im zweiten Weltkrieg, Band 6, S. 501.
- Kohlase, 1945 - Als Küstrin in Trümmer sank, 2. Auflage.
4 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Brief eines Volkssturmmannes.
- Fitzky, Bild einer vom Schicksal schwer geprüften Stadt, Erlebnisbericht Fritz Bernau.
- Aus beiden Quellen geht nicht genau hervor, ob am Abend des 24.1. Alarm und Abmarsch zugleich waren, oder der Abmarsch erst am 25.1. erfolgte. Thrams, Küstrin 1945, S. 17, datiert den Abmarsch auf den 25.1.
5 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Johannes Diebe u. a. . Diebe berichtet weiter, daß Feldgendarmerie vier deutsche Soldaten in der Schlageterstraße erhängte und danach nicht abnahm. Auf die Bitte der an der Straße eingesetzten beiden Gruppen, die Toten abschneiden und abnehmen zu dürfen, erhielten sie die Erlaubnis nur unter der Bedingung, die Stricke zu durchschießen, was sie auch taten.
- Thrams, a.a.O., S. 29-30.
- Fudel, 1945 - Von Küstrin über Seelow, 31.1.1945. ,,Für die Brücken-Bewachung eingeteilte Hitlerjungen, die man mit Gewehren ausrüstete, hielten den flüchtenden Strom auf und zogen alle, die zum Volkssturm tauglich waren, von den Wagen" Fudel beruft sich hierbei auf den Erlebnisbericht des Pfarrers Helmut Weyer, dessen Wahrheitsgehalt nicht anzuzweifeln ist. Allerdings nicht ohne folgende Richtigstellung: Der Erlebnisbericht dürfte im Falle der Küstriner Straßenbrücke über die Oder die Wiedergabe einer Kurzzeitsituation und nicht der Normalität an dieser Stelle gewesen sein. Bei der Oderbrücke dieser Wichtigkeit standen hier Angehörige der Feldgendarmerie, der Waffen-SS oder des Heeres. Ihnen waren die Hitler-Jungen vermutlich zusätzlich zugeteilt worden. Aus nicht bekannten Gründen verließ das Militär zeitweilig und gemeinsam seinen Posten. Für längere Zeit hätten sich Hitler-Jungen allein gegen sich westwärts absetzende Soldaten nicht durchsetzen können!
6 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Johannes Loeschen.
7 Vgl.
- Doernberg, Befreiung 1945, S. 16.
- Nippert, Die Maske des Kunsthändlers, S. 161-191.
- Bokow, a.a.O., S. 93-100. Nach Bokow gehörten zu den Hauptverantwortlichen des Massakers Staatssekretär Klemm, Oberstaatsanwalt Hansen, Gefängnisdirektor Knops, sein Stellvertreter Rung, Inspektor Klitzing, der Leiter des Gestapo-Sonderkommandos Krause und die SS-Leute, die die Ermordung ausführten. Von den genannten Hauptverantwortlichen wurde Rung zum Tode verurteilt, Klitzing starb in der Haft, Klemm wurde zu lebenslanger Haft verurteilt aber bereits nach kurzer Zeit wieder in Freiheit gesetzt.
8 Vgl.
- Gesprächsauskunft Sonja Klingsporn, geb. Napirala.
9 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Ernst Müller, Johannes Diebe, Fritz Oldenhage, Helmut Schmidt und Johannes Loeschen.
- Befehl des Kommandanten der Festung Küstrin an Bataillon Hauptmann Bohl vom 31.1.1945, WF-03/17398 Blatt 4467.
- Kriegstagebuch der Kampfgruppe Weikl, WF-03/17398 Blatt 461-467.
- Thrams, a.a.O., S. 32.
10 Vgl.
- Mironow, Die stählerne Garde, S. 74-86.
- Neuer Tag vom 4.2. und 5.2.1970, Vor 25 Jahren.
- Reinefarth, Bericht über den Fall der Festung Küstrin und den Durchbruch der Rest-Besatzung.
- Thrams, a.a.O., S. 35, 36, 38.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Helmut Schmidt. Dieser berichtet nur von 8-10 mit dem Spaten erschlagenen Ungarn in dem von ihm betretenen Teil der zurückeroberten Zellstoffabrik, tote Volkssturmmänner sah er nicht, hörte aber von niedergemachten Hitler-Jungen als Luftwaffenhelfern einer leichten Flak.
11 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Schreiben Werner Falckenberg vom 11./12.3.1945, Erlebnisberichte Rudolf Schröter und Hans Dahlmanns. Letzterer meint mit dem Angriff Richtung Tamsel in der Nacht vom 31.1./1.2 den etwas späteren Gegenangriff zur Rückgewinnung Warnicks.
- Erlebnisbericht Günther Bielicke, siehe Anmerkung 18.
- Erlebnisbericht Walter Horn.
12 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Alfred Kraus, Helmut Schmidt und Oscar Jessen.
13 Vgl.
- Schrode, Die Geschichte der 25. Division, 31.1. 1945., 29.-31.1.1945.
- Thrams, a.a.O., S. 32-34. Irrtum! Nur zwei Abschüsse erzielten Panzerfaustschützen der 25. PGD.
14 Vgl.
- Katukow, An der Spitze des Hauptstoßes, S. 338-339, 342-343. Auf S. 343 heißt es:
,,Doch nur sieben Panzer kamen dazu, zum Brückenkopf überzusetzen." Im Gegensatz dazu beruft sich Reiss, Die Festung Heft 10, S. 34-36 und 41-42 auf einen Bericht Katukows in der Übersetzung von Guntis Stamers, wonach es heißt, daß der Führung des 11. Panzer-Korps bereits am Tage der Brückenkopfbildung befohlen wurde, keine Panzer auf das Westufer der Oder zu verbringen. Auch in den TM HGW findet sich erst am 7.2. ein Hinweis auf einige Feindpanzer am Westufer. Weiter bestätigte der Zeitzeuge Kurt Speer die praktische Unmöglichkeit, bei der am 2.2. vorhandenen Eisdecke der Oder Panzer überzusetzen. Der Autor dieses Buches konnte die Ursache der Unstimmigkeiten nicht klären, vermutet sie aber in einer fehlerhaften lektoralen Aufarbeitung des ehemaligen Militärverlages der DDR.
- Simon, Die Bildung und Erweiterung des Küstriner Brückenkopfes, Abb. 4.
- Tschuikow, Gardisten auf dem Weg nach Berlin, S. 390-391, 393.
- Neuer Tag vom 12.2.1970, Vor 25 Jahren.
- Neuer Tag vom 5.2.1975, Kalenderblätter der Befreiung.
- TM 2.2.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Fudel, a.a.O.
15 Vgl.
- TM 7.2. und MM 8.2. Festungskommandant Küstrin.
- TM AOK 9 vom 7., 8. und 9.2., WF-03/5083, Blatt 696-698, 145-147, 202-204.
16 Vgl.
- Schrode, a.a.O.
17 Vgl.
- Aufstellung HGW vom 22.2.1945 über eingesetzte Truppenteile, WF-03/5084 Blatt 966-967.
- AOK 9 Panzer- und Paklage vom 19.2.1945, WF-03/5084 Blatt 849.
- Meldung Harko 307 beim AOK 9 vom 31.1.1945, WF-03/5083 Blatt 904.
- FS OKH General Krebs vom 27.2.1945 an HGW.
- Kohlase, a.a.O., Bericht des Kreisleiters des Kreises Küstrin-Königsberg, Erlebnisbericht Fritz Kohlase, Brief Werner Falckenbergs vom 11.3.1945.
- In der weiteren Umgebung des Weinbergshofes hatten Anfang Februar vier schwere Flak ihre Stellung im Gelände. Die erste und zweite etwa 350 m südlich der Reichsstraße 1 (= südöstlich der Kupferlake, südlich der Siedlungsstraße), ca. 450 ostwärts des Weinbergshofes und in Bahnnähe. Die dritte Flak befand sich etwa 20 bis 25 m nördlich der Reichsstraße 1 von Kietz nach Seelow und ungefähr 200 m westlich der Straßenkreuzung zum Weinbergshof, in einem mit Gebüschen bewachsenen, nicht nutzbaren Unland. Und die vierte Flak war südlich der Ostbahnlinie und westlich der oben genannten Straße vom Weinbergshof zur Kaiserallee postiert, in der Nähe des Bahnwärterhäuschens auf der Nordseite der Ostbahn und des Gehöftes auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Alle vier schweren Kaliber waren zum Erdkampf eingegraben. Das erste und zweite mit Schußfeld von Südost bis Süd. Vermutlich erfolgte von hier am 11. Februar der Feuerüberfall auf das sowjetisch besetzte Gut Hirnschädel. Die dritte und vierte Flak dienten der Abwehr eventueller Feindangriffe aus Richtung Westen und Südwesten. Außerdem stand eine 3,7-cm-Vierlingsflak in der Siedlung am Friedhof südlich der Kupferlake. [Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Helmut Schmidt und Josef Stefanski.] [Auskunft Horst Schenke.]
- Von den 5 Panthertürmen erfolgte der Einbau des ersten direkt in den Oderdamm; südostwärts des Kietzer Tors und vor der Gabelung der Chausseen von Göritz und von Sonnenburg; aufgesetzt auf einen Holzgestell-Erdbunker; mit Schußfeld Südost. Er fiel am 27. März durch feindlichen Granattreffer verursachten Rohrriß aus. [Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Hans Greiser und Hans Kirchhof.]
Der zweite Turm wurde westlich des Oder-Vorflutkanals in Kietz eingebaut; in eine Geländeerhöhung von 3-5 m (?) - vermutlich Rudimente des ehemaligen Waffenplatzes F - etwa 80 m südlich der Eisenbahnlinie sowie nordwestlich und nahe der Abbiegung der Reichsstraße 1 zur Altstädter Insel; mit Schußfeld auf die Reichsstraße 1, die hier in zwei Richtungen verlief, einmal von Süden nach Norden zur Vorflutkanal-Straßenbrücke und ab dort nach Nordosten entlang der Artillerie-Kaserne. Mit gut ausgebauter Unterkunft für die Bedienung (Doppelstockbetten, Tisch und Stühlen). Das Munitionsdepot befand sich in einem etwa 75 m nördlich liegenden kleinen Bahngebäude (dem Stellwerk) und daneben und war durch einen Laufgraben mit der Pantherturm-Stellung verbunden. [Auskunft Horst Schenke.] Über das Ende ist nichts bekannt.
Über den Standort des dritten Pantherturms und sein Schicksal fehlen präzise Angaben. Unverbindliche Hinweise gibt es auf den Norden der Altstadt und den Bahnhof Altstadt auf der Altstädter Insel. [Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Hans Kirchhof.] [Auskunft Horst Schenke.]
Über den vierten und fünften Pantherturm existiert nur die Gesprächsauskunft des damals zwölfjährigen Jobst Falckenberg aus Lagardesmühlen in Warnick. [Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Hans Kirchhof, Anmerkung 1] Am 31. Januar 1945 vormittags wurde auf dem Grundstück der Familie Falckenberg mit dem Einbau eines Pantherturmes begonnen. Sein Standort: Am Fuß des sogenannten Wasserturms zwischen Sägewerk und dem Haus seines Großvaters, so, daß er das abfallende Gelände zum Diek (Jungfern-Kanal) in Richtung Warnick beherrschte. Der Turm mit gelbsandfarbenem Anstrich wurde auf einem starken Holzgestell, das unten als Schlitten ausgebildet war, antransportiert. Die deutschen Soldaten und Volkssturmmänner verwendeten zum Ausheben der Schützenlöcher Panzerfäuste, um in das stark gefrorene Erdreich einzudringen. Ein weiterer Turm sollte noch kommen, wurde aber vom Augenzeugen nicht mehr beobachtet, weil für ihn gegen 13.30 Uhr des 31.1. die Flucht begann. Angaben über das Schicksal beider Türme fehlen.
- Die von der Heeresgruppe Weichsel am 22.2. notierte Kampfstärke der Festung Küstrin von 8 196 Mann ergibt eine geschätzte Gesamtstärke von 12.000. Das steht im Widerspruch zum Bericht des Generalkommandos XI. SS-Panzer-Korps vom 9.3.1945 über den Kampf der Festung Küstrin. (WF-03/5085 Blatt 669-672.) Hier wird von einer Kampfstärke von rund 10.000 am 3.3. bei einer Verpflegungsstärke von 16 800, ohne Zivilbevölkerung, gesprochen. Selbst unter Berücksichtigung der Fakten, daß Heeresproviantamt, Bäckerei zum Teil, Fleischerei u. a. wohl in den Raum Müncheberg - Seelow verlegt und vielleicht der Festungsbesatzung weiter zugerechnet wurden, daß es während der Belagerung auch Zu-und Abgänge normaler Art, wenn auch nur in kleinem Umfang, gab, und daß die Verpflegungsstärke einen "Schummelanteil" enthielt, kann der Autor dieses Buches diese Differenz nicht erklären.
18 Vgl.
- Erlebnisbericht (Kurzfassung) Günther Bielicke.
Bei den "Stukas zu Fuß" in Küstrin.

(Die Wiedergabe erfolgt wegen seiner Besonderheit und Vielseitigkeit, obwohl er das Schema des Buches sprengt.) Bielickes Wehrmachtszeit begann als 17-jähriger, der noch in der Schulzeit 20 Monate Flakdienst als Luftwaffenhelfer mit Einsätzen in Berlin, Dortmund und Leuna- Merseburg vorausgegangen waren.
Musterung beim WBK Steglitz. Vati trifft Weltkriegskameraden, der mich zur Artillerie einteilt.
Am 1.12.1944 mit Sammeltransport in 1,5 Stunden nach Küstrin-Neustadt. Die schwere Artillerie-Ersatz-Abteilung 39 in Küstrin-Altstadt hat uns nicht erwartet. Einteilung der etwa 15 Jugendlichen. Die Oberschüler werden ROB.
Geschützausbildung an der schweren 15-cm Feldhaubitze 1918 auf dem nahen Übungsgelände. Vereidigung. Stadtausgänge. Ausbildung am Sturmgewehr, Pistolen 08 und 38, MG 42, Panzerfaust und Panzerschreck. Vom Panzer überrollen lassen. Beinahe Unfall beim Werfen von Eierhandgranaten. Im Pferdestall Unterrichtung am Rundblickfernrohr, weil letzte Geschütze eingefroren.
Ernennung zum ROB und Zusammenfassung der ROB im ROB-Zug. Mitte bis Ende Dezember verschärfte infanteristische Ausbildung im Oderbruch zwischen Küstrin und Seelow mit Tag- und Nachtübungen unter strengen Winterverhältnissen. Gasschutz-Lehrgang zum Ausruhen. Beim Gewehrappell aufgefallen. Wanzen und vereitertes Auge. Elternbesuch in der Kaserne. Weihnachtsfeier in der Kaserne.
Anfang Januar 1945 mehrtägige Härteübung in der Stellung Gernheim-Nord. Abstellungen nach Dänemark. Ausbildung in Panzernahbekämpfung. Ausgabe von Tarnanzügen und scharfer Munition. Trecks auf der Straße Landsberg - Küstrin. Letzter Elternbesuch und Abgabe der Armbanduhr.
31. Januar; sowjetische Panzer brechen in Küstrin-Neustadt ein; vier erreichen die Stadtmitte. Eltern konnten im überfüllten Zug gerade noch mitfahren. Einteilung zum Panzerjagdkommando. Fahrt mit Lkw Gernheim - Alt Drewitz. Gehen an Feldwegkreuzung vor Alt Schaumburg mit ca. 20 Mann mit Panzerfäusten in Stellung.
Weil keine Feindberührung, am 1. Februar zurück zur Batterie, die inzwischen mit 3 französischen Feldgeschützen zwischen Straße und Eisenbahn Gernheim - Warnick Feuerstellung bezogen hat. Stellungsbau bei gefrorener Erde. Sprengen mit Pioniersprengmitteln. Bezug von Privatquartieren in Warnick. Ich im weichen Bett des Ortsbauernführers. Weinkeller und Puddingessen. Viel Militär im Dorf. Einteilung zum Geschütz. Mitten in der Nacht geweckt von Kameraden. Russen im Dorf. Schnell zur Feuerstellung; Aktentasche blieb zurück. Feuerzauber in Warnick. Geschütz muß nach wenigen Schüssen verlassen werden, weil der Heuschober mit dort gelagerten Kartuschen in Brand gerät. Schlagbolzen der Geschütze werden entfernt. Russen-MG schießt Leuchtspur. Dorf von Russen besetzt. Unser Rückzug über freies Feld. 5 Mann von uns sitzen im Marmeladenkeller und die Russen im Vorgarten. Hilfe durch Pionieroffizier. In der Pionier-Kaserne Bereitstellung von Einheiten zur Rückgewinnung von Warnick. Wir hinter den letzten Panzern einer SS-Einheit. Wir befreien einen Schreiber mit dicker Brille aus der Waschküche und sehen, wie Russen in ,,unserem" Dorf gehaust haben (Frauen und Kameraden). Rückweg durch die brennende Neustadt.
Vor der Straßenbrücke steht ein höherer SS- oder Gendarmerie-Offizier mit gezogener Pistole, hält über die Warthe Wollende auf und lenkt sie zu einer Auffangstelle. Dort melde ich mich freiwillig zur RAD-Flak (einem Flak-Sturmregiment?) und komme glücklicherweise zu einer 2-cm-Vierlings-Maschinenkanone, die ich von der Luftwaffenhelferzeit als Ladekanonier kenne.
Wir - ein Zug mit 3 Geschützen - beziehen eine Feuerstellung zwischen Oder und Warthe am westlichen Wartheufer zwischen zwei Eisenbahnbrücken. Die 2-cm-Sprenggranaten werden wegen Mangels eingeteilt. Trotzdem gelingt uns der Abschuß von 2 Feindflugzeugen, einer "Nähmaschine" und eines Schlachtfliegers. Nach Verschuß der letzten Munition Aufgabe der Geschütze und Rückmeldung in der Artillerie-Kaserne; Eintragung der 2+2 Abschußpunkte und Verleihung des Flakkampfabzeichens durch den Batteriechef nach Eintragung in das Soldbuch (7.2.).
8. bis 13.2.: Danach einige Nächte im Keller der alten Kaserne verbracht. Einteilung zu diversen Schanzkommandos. Einmal zu zweit das Antreten um 19 Uhr verpaßt, weil in der Kantine gewesen und ohne Uhr. Der verpaßte Einsatz war ein Stoßtrupp-Himmelfahrtskommando mit großen Verlusten bei Alt Drewitz. Drohung des Chefs mit dem Kriegsgericht für uns vor angetretener Restbatterie. Unsere anschließende Freiwilligenmeldung zum nächsten Einsatz war Schanzen und Spähtrupp westlich Kietz. Zusammentreffen mit Landsern des Bewährungs- Bataillons 500. Degradierte Offiziere aller Wehrmachtsteile lagen etwa 10 Meter auseinander. Hier griff der Russe wiederholt vergeblich an! Inzwischen ständiger Feindbeschuß Küstrins und der Kaserne.
Nachteinsatz als Infanterist bei der Abwehr eines Angriffs auf die Siedlung Kietz beim Friedhof. Betrunkener Russe vor der Hütte. Granatwerferüberfall. Echte Angst im Graben. Russen greifen aus Richtung Gorgast - Manschnow an. Ich liege beim MG 42 und staune über die Feuergeschwindigkeit. In der Morgendämmerung zurück zur Kaserne. Nur schlafen, schlafen. Es gibt Wein, Sekt und Schnaps. Die Zigaretten tausche ich gegen Bonbons ein.
Von der Stellung Siedlung Kietz-Süd (Friedhof) hören wir vom ostwärtigen Oderufer Kampflärm bei Bienenhof. Ein Zug ROB unserer Abteilung soll dort völlig aufgerieben worden sein. Am 13.2. Brief an die Eltern geschrieben.
Aufgrund freiwilliger Meldung Versetzung zum Sonderkommando Nebelwerfer. In den Kasematten waren 28-cm-Wurfgranaten (Spreng- oder Flammölladung) gefunden worden. Einige Ausbilder der Werfer-Abteilung 1 aus Celle kamen nach Küstrin. (Die Glücklichen kamen später noch rechtzeitig wieder hinaus!) Theoretische Ausbildung am schweren Wurfgerät 40 (Holzrahmen) und 41 (Eisenrahmen). Granaten wurden aus Transportverpackungen an Böschungen gelegt verschossen. Reichweite 1.900-2.200 Meter. Unterricht im Keller der Artillerie-Kaserne. Anschließend diverse Einsätze als Lehrübungen im Raum Zorndorfer Straße in der Neustadt.
Das Sonderkommando bestand aus Major Hradezky (einem Feuerwerker), einem jüngeren Artillerie-Leutnant, Artillerie-Wachtmeister, zwei Unteroffizieren (einer von den Pionieren), und etwa 10 Artilleristen und Pionieren (Zündungsfachleute), also etwa 15-20 Mann und war direkt dem Festungskommandanten unterstellt. Die Wurfrahmen wurden auf von uns gebauten schrägen Holzpritschen (je 4) grob auf Flächenziele eingerichtet, mit Zündern versehen (deren Kunststoffbehälter mir vorzüglich zum Aufbewahren roter und gelber Marmelade dienten) und die Raketensätze mit Pionierzündkabel zusammengeführt, die Spannung geprüft und an den aufgezogenen Zündapparat angeschlossen, der sich an der Feuerstelle etwa 50 Meter seitlich hinter der Wurfgerätestellung im Erdloch befand. Auf Feuerkommando wurde der Hebelgriff einmal gedreht und die Zündung sämtlicher Raketen, je Wurfgestell mit 2 Sekunden Verzögerung, ausgelöst. Die Holz- oder Eisenrahmen flogen verbogen nach rückwärts davon, die Holzpritschen waren auch nicht mehr zu verwenden. Die Stellung mußte sofort geräumt werden, weil erfahrungsgemäß der Gegner sofort mit 17,2-cm-Geschützen antwortete, was uns im allgemeinen bei der Infanterie in der HKL nicht sehr beliebt machte.
Nach der teilweisen Räumung der Neustadt von Zivilisten am 19.2. bezogen wir vom 20.-24.2. verschiedene Werferstellungen im Raum der Infanterie-Kaserne. Wir erhielten die Feldpostnummer 18203 (Küstrin) E-G (Artillerie). Ich werde Melder, besorge mir ein altes Fahrrad und komme viel herum. Aus einer Lagerhalle der Kaserne organisiere ich mir ein Zeiß-Fernglas sowie eine 7,65-mm-Walther-Pistole mit etwas Munition. Entdecke eine Holzkiste mit leeren Pistolentaschen und binde 10 Stück für die Kameraden an eine Schnur. Wir hatten kurz zuvor die Karabiner gegen Pistolen 38 eintauschen müssen und trugen diese bisher im Stiefel oder im Koppel wie Seeräuber, weil Taschen nicht mitgeliefert wurden.
In diesen Tagen führte Major Hradezky diverse Einzelunternehmen durch. Zum Beispiel nahm ein umgebauter Kübelwagen eine Wurfgranate auf, fuhr damit in die vorderste Linie, wendete und richtete die Granate auf ein Einzelziel (Einzelhaus mit sowjetischem VB oder ähnlichem). Major Hradezky fuhr immer selbst und nahm einen von uns Jüngeren mit; mich zunächst noch nicht. Nach längerem Einrichten des getarnten, meist nachts aufgestellten Fahrzeugs, wurde das Geschoß vom Beifahrer auf Pfiff gezündet, während der Major beobachtete. Anschließend sprangen beide in den Wagen und rauschten ab. Etwa 5-7 Einsätze dieser Art waren fast alle erfolgreich. Die Beifahrer bekamen entweder das EK 2. Klasse oder wurden zu Gefreiten oder Obergefreiten ernannt. Der Major, bereits Träger des Deutschen Kreuzes in Gold, erhielt später auch noch sein erstrebtes Ritterkreuz. Ob für den Einsatz in Küstrin, weiß ich nicht. [Irrtum: Nicht enthalten im www.lexikon-der-wehrmacht.de/Orden/Ritterkreuz.]
Am 25./.26.2. zog das Kommando auf einen großen Holzplatz am Rande der Neustadt (Werferstellung Nord) im Norden Küstrins. Hier errichteten wir 4 Gestelle zu je 4 Wurfgranaten, versahen sie mit Zündern und tarnten die Stellung mit Latten gegen Fliegersicht. Denn wir wurden ständig aus der Luft beobachtet und von Schlachtflugzeugen des amerikanischen Fabrikates Martin angegriffen.
Am 28.2. Brief an die Eltern geschrieben und als Melder in die Neustadt mitgenommen. Volle Marmeladengläser gefunden. Ein Huhn gejagt. Als es kocht, gibt es Alarm und wir müssen verschwinden, für den Iwan wird es gar sein.
Neues Quartier am Holzplatz dicht am Güterbahnhof im Waschkeller eines Hauses, das wir mit Bettzeug aus der darüberliegenden Wohnung ausstatten. Wir liegen etwa 1 Kilometer hinter der HKL hinter einem Wald und haben einige Tage Ruhe. Tag- und Nachtwache in der Stellung. Russe schießt vereinzelt mit Artillerie. Eines morgens, entweder am 4., 5. oder 6.3. nimmt während meiner Wache das Infanteriefeuer in unserem Abschnitt zu. Den Bretterstapel über mir treffen zwei Explosivgeschosse. Ein Splitterchen verletzt mich an der linken hinteren Halsseite (ich trug in diesem Augenblick keinen Stahlhelm). Ich alarmiere unsere Truppe, und wir machen unsere Stellung feuerbereit. Inzwischen starkes Abwehrfeuer an der vordersten Linie. Festungskommandantur meldet, daß feindlicher Großangriff auf die Neustadt bevorsteht. Zündkabel sind angeschlossen und die Raketen auf den russischen Bereitstellungsraum gerichtet. Ich muß zur Kampfgruppe Oldershausen in die Infanterie-Kaserne Feuerbereitschaft melden weil zunehmendes Artilleriefeuer die Telefonleitung unterbrochen hat. Uns ist klar: Der Gegner greift Küstrin-Neustadt an. Unsere Aufgabe war, als Feuerwehr und stärkstes Kaliber die in der Festung fehlende Artillerie zu ersetzen und mit massierten Einsätzen - solange der Vorrat reichte - unseren nur dünn besetzten Stellungen gelegentlich etwas Luft zu schaffen. (Nachschub kam per Lkw aus den Altstadtkasematten. Seit der Beschädigung der Straßenbrücke am 18.2. über die mit Bohlen abgedeckte Eisenbahndrehbrücke.) Am 7. März in der Frühdämmerung zündeten wir unsere ca. 40 bis 48 Wurfkörper (5 oder 6 x 8), die durch ihre unerhörte Sprengwirkung ein angreifendes sowjetisches Bataillon vernichteten - wie wir später erfuhren. Danach Rückzug durch die Neustadt. Eine Nacht im Hauskeller eines Milchladens. Verpacken von Mehl und Zucker. Und am 8.3. über die Eisenbahnbrücke Rückzug in die Altstadt.
Hier finden wir diverse Unterkünfte in Hauskellern, die uns durch die ab 9.3. einsetzende schwerste Beschießung durch feindliche Artillerie und Flugzeuge des öfteren über den Köpfen zusammengeschossen werden. Zum Glück brauchten wir als Sonderkommando nicht an den schweren Abwehrkämpfen in der Neustadt teilnehmen, die dann auch am 8.3. verloren ging. [Irrtum! Im Raum Infanterie-Kaserne streckten die hier Eingeschlossenen erst am 12.3. morgens die Waffen! F. K.] Infolge erbitterter Kämpfe gab es große Verluste. [Von vielleicht 7.000 Verteidigern gelang schätzungsweise 1.000 Rückzug oder Flucht zur Altstadt, ca. 3.000 sollen nach sowjetischen Angaben gefallen oder erschossen worden sein und ca. 3.000 gerieten in Gefangenschaft. F. K.] Besonders große Verluste verzeichnete die mit Volkssturm verstärkte Kampfgruppe Hethey (darunter Kompanie Hymmen Feldpostnummer 18203 A-CC). Die Russen drangen bis an die Warthe vor, und die Eisenbahnbrücken wurden gesprengt.
Etwa um den 7. oder 8.3. gibt es eine Art Appell mit einer Durchhalterede eines NS-Führungsoffiziers, EK-Verleihungen und einigen Beförderungen. Unter anderen wurde auch ich durch Major Hradezky zum ROB-Gefreiten ernannt. Dabei erwähnt der Major die Fahnenjunkerschule (Artillerie) Groß Born in Pommern, an die er beste Erinnerungen habe, während mir Südpommern seit 1943 durch den Flakschießplatz Dramburg in schlechter Erinnerung blieb.
Am 10.3. wird mein Kamerad Bodo Gladasch am Kopf verwundet. Er ist bei Bewußtsein, als er zum Hauptverbandsplatz im Schloßkeller gebracht wird. Ich gebe ihm meinen roten Taschenkalender mit meiner Elternanschrift mit; weil er doch sicher heimkommen wird. Denn durch den Schlauch Kuhbrücke - Gut Alt Bleyen - Gorgast besteht Verbindung zur deutschen HKL. Durch ihn werden Verwundete, Zivilisten und Güter aus Küstrin hinaus und Munition, Medikamente und Verpflegung hereingebracht. (Bodo sollte später in einem Lazarett bei Berlin sterben, weil er nicht richtig behandelt werden konnte. Nach Rückkehr aus fast fünfjähriger Gefangenschaft besuchte ich seine Eltern in Neukölln, die mir mein Taschenbuch zurückgaben. Es war ein trauriger Besuch, zumal ich Bodo nach seiner relativ leichten Streifschußverletzung am Leben glaubte. In diesem Kalender fand ich dann einige Notizen, welche die Grundlage meines Erlebnisberichtes bildeten.) [Anmerkung Fritz Kohlase: Ab dem 10.3. enthält Günther Bielickes Erinnerung einen Bruch. Er nahm nicht zur Kenntnis oder verdrängte, daß Major Hradezky am 10. März in Küstrin verwundet und mit dem nächtlichen Konvoi ausgefahren wurde und am nächsten Tage an den Folgen in Strausberg verstarb (Privatarchiv Torsten Fudel). Eine nicht seltene Erscheinung bei Soldaten unter oder nach besonderem Streß und mit traumatischen Erlebnissen. (Hier der erfolgreiche erste sowjetische Großangriff auf Küstrin, die schweren deutschen Verluste in der Neustadt und in Kietz, die Verwundung seines Kameraden Gladasch.) In solchen Situationen konzentrierten sich Geist und Willen auf das Wichtigste: Die Befehlsausführung und das eigene Durchkommen. Außerdem erfolgte die Abfassung des Erlebnisberichtes erst nach einer bald fünfjährigen sowjetischen Kriegsgefangenschaft.]


Etwa um den 11.3. ziehen wir um in die Kasemattenkeller der Bastion König. In abgeteilte, feuchte Räume; haben noch Strom für Licht und ein Radio, das Kämpfe am Rhein meldet. Wir bedauern, nicht dem Amerikaner gegenüber zu liegen. Wir lernen die Kasemattenkeller kennen, die weit verzweigt sind und viele Munitionslager und Waffenmeistereien beherbergen. Die Organisationssucht der Landser wird geweckt. Ich schreibe an die Eltern einen Brief - meinen vorletzten, was ich damals noch nicht wußte - mit einem sinnig aufgedruckten Bild "Soldatenheim Küstrin". Wir schlafen in Doppelbetten und erhalten gute Verpflegung von einer nahen Feldküche, die anscheinend sämtliche Vorräte der Umgebung verbratet. Bei Fliegerangriffen verziehen wir uns noch einen Stock tiefer, denn die schweren Brocken lassen die alten Festungsbauten ganz schön wackeln.
Unser Chef beglückt uns mit der Nachricht, daß wir unsere neue Werferstellung auf der Halbinselspitze zwischen Oder- und Warthezusammenfluß, dem Gorin, bauen müssen. Genauer gesagt, in der dort liegenden Schrebergartenkolonie. Es verspricht, ein eigenartiger Einsatz zu werden. Die dort eingesetzte Volkssturmkompanie, die zum Volkssturm-Bataillon 16/186 des Hauptmanns d. R. Rudolf Tamm gehört, und unter Beschießung aus der gegenüberliegenden Zellstoffabrik zu leiden hat, benötigt unsere Hilfe. Die Volkssturmeinheit bietet uns nach erfolgreichem Einsatz ein lebendes Schwein an, das sie zur Zeit noch in einem Stall der Gärten in ihrer Stellung versteckt hält. Nachts Aufbau der Holzgestelle für Wurfkörper, begleitet vom Bombenabwurf eines sowjetischen Doppeldeckers ("Nähmaschine"). Der Pilot muß unsere Taschenlampen gesehen haben. Die eine größere Bombe verletzt einige Volksstürmer; trifft aber zum Glück nicht noch unsere Munition. Wir zünden etwa 20 Wurfgranaten und schießen die Fabrik in Brand. Das Schwein wird in unsere Bunker entführt, und jeder Mann bekommt in den nächsten Tagen etwas Wurst und Schmalz. Wir rätseln, wo die Koteletts bleiben? Eigenartigerweise läßt sich keiner der Herren Offiziere sehen. Trotzdem - wir hungern nicht.

Bei einem Meldegang entdecke ich einen großen Schuppen oder eine Scheune, die bis unter das Dach mit amerikanischen Rote-Kreuz-Paketen gefüllt ist, die für gefangene Piloten zurückgehalten wurden. Landser wühlen darin herum und suchen Zigaretten Marke Camel. Ich stehe ganz versonnen und beiße eine Tafel Cadbury-Schokolade an, obwohl die russische Artillerie schweres Störungsfeuer in die Umgebung legt. Dann schnappe ich ein Paket und hole die Kameraden mit einem zweirädrigen Pionierkarren. Inzwischen ist am Schuppen Waffen-SS vorgefahren und erklärt ihn im Namen der Kommandantur für beschlagnahmt. Sie laden einen Lkw - wobei wir staunen, daß es so etwas in Küstrin noch gibt - voll mit Paketen und fahren ab. Wir sammeln die Reste ein und haben länger zu essen, als die Festung standhält. So ein Paket in vier Teilen enthält von Vitamintabletten bis zur Seife alles, was das Herz begehrt. Vor allem Büchsen mit Eintopf zum Wärmen, Kaffee, Milchpulver, Erdnußbutter, Zwieback, Süßigkeiten, Corned Beaf usw. Die Zigaretten tauschte ich gegen Schokolade ein. Bald konnte unser Koch uns selbst mit Pudding nicht mehr aus dem Keller locken, zumal es am Tage immer schwieriger wurde, sich an der frischen Frühlingsluft zu zeigen. Ganz selten konnten wir uns der Sonne erfreuen, die tauenden Schnee, Nässe, aber auch frisches Grün brachte.
Tiefflieger und Scharfschützen von Neustadt her beherrschen die Festung, die weder Flak noch schwere Artillerie hat. Gelegentlich sehen wir vom Wall der Bastion wie einzusehende Straßen der Neustadt von sorglos daherziehenden feindlichen Kolonnen belegt sind. Wir lesen einige Exemplare der Durchhaltezeitung "Feste Küstrin". Wir rücken zusammen und müssen die Doppelbetten mit einer Alarmeinheit, der Kompanie Griese, teilen. Tags schlafen wir darin, nachts sie.
Wir bauen eine neue Werferstellung unweit der Kasematte, dicht an der Oder, südlich der Straßenbrücke, die nach der Insel und zu unserer Garnisonskaserne der Artillerie-Abteilung 39 führt. [F. K.: Vermutlich war damit der ehemalige Kommandantengarten im Südteil des Geländes zwischen dem Straßenbogen von der Oder-Straßenbrücke zum Berliner Tor und dem Wassergraben vor der Bastion König gemeint. Das wäre nicht südlich, sondern stromaufwärts der Straßenbrücke gewesen.] Schußrichtung Südwesten: Kietz jenseits der HKL. Am 15.3. schreibe ich den letzten Brief an die Eltern mit größter Sorge wegen der Luftangriffe auf Berlin, weil ich seit einiger Zeit keine Nachricht mehr habe, obwohl wir noch nicht ganz eingeschlossen sind. Wir haben nur noch Nachteinsätze. Selbst der tägliche Latrinengang wird durch die Scharfschützen auf den Dächern der Neustadt lebensgefährlich. Wir lösen das Problem bis zur Dunkelheit mit Hilfe der leeren Rote-Kreuz-Verpackung. Längst haben wir uns aus Nachschubkisten nagelneue Sturmgewehre MP 44 mit viel Munition besorgt, denn wir ahnen, daß unsere Wurfgranaten immer weniger werden und wir dann zum Infanterieeinsatz müssen. Wir glauben und hoffen auf einen Durchbruch nach Westen!
Festungkommandant Reinefarth ließ sich auch mal bei uns blicken. Seine Stabsbunker befanden sich in nächster Nähe im Schloßkeller. Dort befand sich auch ein Hauptverbandsplatz mit Lazarett für Schwerverwundete. Dorthin mußte ich einen Kameraden mit kleinsten Granatwerfersplittern im Rücken begleiten. Er hatte zwischen mir und dem Einschlag gestanden, sodaß ich nur einen kleinen Splitter am linken Knie verspürte. Aufopferung und Zustände sind unbegreiflich. Ärzte und Schwestern leisteten Übermenschliches! Nach schnellem Verbinden verließ ich die übelriechende Stätte schnellstens.
Seit dem 22. März ist die Nachtverbindung Küstrins zur HKL endgültig abgebrochen - wir sind eingeschlossen! Von der Lage erfahren wir: Kämpfe überall an der Oder. Gegner hat Brückenköpfe am Westufer, wir auf dem Ostufer nur noch in Frankfurt, Küstrin und Zehden. Am 23./24.3. gelingt deutschen Entsatztruppen in Gorgast bis auf 3 Kilometer an unseren Kessel heranzukommen, aber nur kurzzeitig. Täglich verkleinern die Russen unsere Einschließung. Am 26.3. greifen sie bei Bienenhof an. Am 27.3. scheitert ein zweiter deutscher Versuch zu unserem Entsatz von außen.
Wir werden infanteristisch eingesetzt zum Schutz der Straßenbrücke mit dem Berliner Tor. Vorsichtshalber packen wir unser Sturmgepäck und vermissen mal wieder unsere Offiziere. Gewehr- und MG-Feuer kommen sehr nahe. Ich habe zweimal großes Glück! Einmal beim Besetzen eines Kampfgrabens, als ich kurz vor einem Volltreffer auf Zuruf eines Kameraden den Abschnitt wechsele. Ein zweites Mal als ich durch die Visierklappe einer eisernen Kasemattentür unter schwerem Stalinorgelbeschuß nach den Kameraden suche, und die Klappe wenige Sekunden später durch einen Splitter zerschlagen wird!
Nachdem wir am 28.3. [Irrtümlich war der 27.3. angegeben. F. K.] noch einmal die vorbereiteten letzten Wurfkörper in Richtung Kietz gezündet haben, mußten wir eilig die Altstadt aufgeben. (Später erfuhr ich, daß einige Wurfkörper zu kurz lagen und die eigenen Stellungen trafen.) Anscheinend waren die umliegenden Ruinenkeller einschließlich Stab bereits geräumt. Im beginnenden Nachtdunkel zum 29.3. [Irrtümlich hieß es: In der Nacht zum 28.3. F. K.] müssen wir in den Trümmern von "Klein-Stalingrad", wie ein Kamerad es nannte, noch einmal angreifende Russen abwehren - die wir in der Finsternis, gelegentlich aufgehellt durch Leuchtkugeln oder vor der gespenstischen Kulisse einiger flackernder Brände - mehr hören als sehen. Wahrscheinlich haben sie wieder - wie oft festgestellt - vor dem Angriff Wodka bekommen.
Rückzug aus der Altstadt. Der Abschied vom Schloß, wo der Alte Fritz als Kronprinz inhaftiert war und mit dem Ort der Hinrichtung seines Freundes Leutnant von Katte, fiel uns ebenso leicht wie der drei Wochen zuvor von der Neustadt mit meinen wenigen Erinnerungen an sie. Bei voller Dunkelheit erreichten wir die Eisenbahnbrücke zum Bahnhof Küstrin-Altstadt. Von allen Seiten strömten Versprengte und ganze Einheiten zum Engpaß Brücke, die brennenden Trümmer hinter sich lassend und viele lebende, verwundete und tote Kameraden. Unter anderem fiel das große Lazarett in der Knabenmittelschule dem Gegner in die Hände. [Das alle Gehfähigen und Gehwilligen rechtzeitig über die Oderbrücke verlassen hatten. F. K.] Kaum bin ich über die Brücke, deren Wache sie vergeblich zu sperren versuchte, fliegt sie in die Luft. Und mit ihr die Landser, die noch beim Überschreiten sind.
Im Morgengrauen des 29.3. [Irrtümlich war der 28.3. angegeben. F. K.] sammeln sich die Reste der Altstadt-Verteidiger gleich hinter der Brücke im Schlachthof und anderen Bunkern. Bis es hell wird, kommen immer noch Männer über die Oder.
Dann muß ich wohl geschlafen haben, bis Nachmittag. Ich gelange in die Nähe einiger Offiziere, die um ein Funkgerät geschart sind. Melder sollen zum Kommandanten. Ein Funkspruch aus Berlin verbietet den Ausbruch. Küstrin soll unter allen Umständen gehalten werden! Am Abend letzte Lagebesprechung beim Kommandanten.
Trotz gegenteiligen Befehls soll in der Nacht ausgebrochen werden. Die Landser werfen allen Ballast weg, reinigen ihre Waffen in den Viehboxen des Schlachthofs, legen Auszeichnungen ab und entfernen Unterführerlitzen. Verpflegung wird ausgegeben. Funksprüche werden gesendet und empfangen. Ein Durchbruch mit so wenigen Männern? Ich staune und bin skeptisch. Bereits am Nachmittag hatte mich ein Major als ROB erkannt und als Melder mit Befehlen zur Ausbruchsvorbereitung in meine alte Artillerie-Kaserne geschickt. Noch einmal die wenigen Meter hinaus in die Trümmerlandschaft. Es fällt dem Gegner nicht schwer, den kleinen Kessel unter Beschuß zu halten. Ein letzter Abschied von der Kaserne, wo ich noch einmal warmes Essen bekomme. Auch hier ein Funkgerät, Offiziere, bekannte und unbekannte Gesichter, sogar Frauen und Kinder liegen in den Kellern. Die Gebäude zeigen Spuren der Zerstörung.
Gegen 23 Uhr am 29.3. geht es los. [Irrtümlich war der 28.3. angegeben. F. K.] Dichte Bewölkung macht die Nacht dunkel. Ein endloser Zug überquert die Eisenbahnbrücke über den Odervorflutkanal. Ich bin ziemlich am Ende. Alles Gepäck blieb zurück. Wir staunen, wieviel Männer plötzlich zusammenkommen; ein endloser Zug. Wieviele mögen vor uns sein? Nachdem der Schnee geschmolzen war, hatte ich den Tarnanzug wieder auf erdgrau gewendet und an der Uniform darunter, Litzen und Auszeichnung daran gelassen, weil ich fest an die Heimkehr nach Berlin glaubte. Darüber trug ich Koppel mit Tragegestell und Pistole 38 sowie Magazintaschen für das Sturmgewehr. Eierhandgranaten befanden sich in den Hosentaschen und im Brotbeutel Munition und Kleinigkeiten wie Mutters Violetts Taschenbuch des Wissens und klassische Feldpostausgaben - aber kein Löffel!. Die Feldmütze hatte ich hinterm Koppel, den Stahlhelm auf dem Kopf und das Soldbuch im Waffenrock.
Zunächst blieb alles ruhig. Der Russe schien nichts zu merken. Im Graben an der Dammstraße nach Bleyen ging es jedoch los. Artillerie- und Granatwerferfeuer deckte uns ein. Ich hörte heftiges Gewehrfeuer und deutsches Hurra-Schreien. Kurz vor Kuhbrücke hielt es mich nicht mehr im Graben. Aus der Tasche krame ich einen alten, bei einem Meldegang gefundenen Kompaß, und stürme links ab nach Nordwesten übers Feld. Hinter mir ein Haufen von etwa 20 Mann. Ich sehe noch Frauen, alte Männer, Kinder und alles rennt in die gleiche Richtung. Als unsere Gruppe größer wird, nehmen wir die Zivilisten in die Mitte und tragen die Kinder. Plötzlich ein Graben, eine Straße, russische Worte, Geschieße. Ich werfe eine Handgranate und verschieße ein Sturmgewehr-Magazin. Wir brechen durch und rennen weiter. Ab und zu eine Leuchtkugel. Dann bin ich außer Atem. Im Grabensystem einige Tote. Erschöpft falle ich in einen Trichter mit Wasser, erfrische Gesicht und Hände, schlürfe, spucke aus. Als ich weitergreife, fasse ich einen Toten an. Die Jagd geht weiter. Im Brotbeutel bewegt sich die Büchse mit amerikanischem Pulverkaffee für Mutter in Berlin. Das treibt mich an. Die Russen schießen jetzt mit MG. Wir müssen uns oft hinwerfen. Im Schein der Leuchtkugeln sehe ich nach dem Kompaß. Die Richtung scheint noch zu stimmen. Neben mir jammert ein älterer Zahlmeister oder Beamter: ,,Kamerad, erschieß mich doch!" Ich renne weiter, denn mitschleppen kann ich ihn nicht. Von links aus einem Gehöft MPi-Feuer. Wir schießen zurück und haben etwas Ruhe. Plötzlich versagt mein Sturmgewehr. Weil ich kaum noch Munition dafür habe, werfe ich es weg. Bald treffe ich auf einen großen Bombentrichter und falle erschöpft hinein. Meine Gruppe ist längst auseinandergebrochen. Im Trichter hockt ein alter Obergefreiter und meint, ich solle mich an ihn halten, er wäre schon in Rußland über größere Entfernungen durchgebrochen, und bis Berlin wären es nur 80 Kilometer. Es dämmert. Wir erkennen eine Gehöftreihe in etwa 500 Meter Entfernung. Mit regem Betrieb. Wir erhoffen die deutsche Linie bei Golzow und sind enttäuscht, als wir beim Hellerwerden feindliche Soldaten erkennen. Sollte alles umsonst gewesen sein? Links seitwärts liegt ein Wäldchen. Mein Kamerad will hinlaufen, wie andere auch. Als ich sehe, daß die Russen alle dorthin Flüchtenden mit dem MG erwischen, halte ich ihn zurück. Ein T-34 fährt aus dem Gehöft und schießt mit der Kanone auf die Einzelnen, die zum Wäldchen flüchten. Granatwerferfeuer liegt auf der von uns erreichten Fläche bis vor unseren Trichter. Ich blicke vorsichtig über den Trichterrand und sehe sowjetische Infanterie in Schützenkette langsam auf uns zukommen. Ich habe Angst, nehme die Pistole in die Hand, finde doch nicht den Mut zum Schießen und werfe sie in hohem Bogen aus dem Bombentrichter. Mein Kamerad verliert die Nerven, klettert aus dem Loch und bleibt sofort mit einem Steckschuß liegen. Dann sind die Iwans heran, haben mongolische Gesichter und durchsuchen mich nach Waffen und Uhr. Ich verbinde noch den Kameraden, wickle mein Verbandspäckchen um die Wunde, werde getreten und gestoßen (vermutlich weil ich keine Uhr hatte) und schleppe den Obergfreiten zum Gehöft, wo inzwischen viele verwundete und abgekämpfte Landser in zerrissenen Uniformen zusammengetrieben werden. Es muß nördlich Gorgast sein, in der Gorgaster Loose, vielleicht an der Schäferei oder dem Tannenhof, wo wir als Rekruten einige Nachtübungen absolviert hatten. Aus südwestlicher Richtung vernehmen wir Gewehrfeuer. Vielleicht sind die Kameraden an der Spitze von etwa 2.000-3.000 Teilnehmern bis in den Raum Golzow durchgebrochen?
Vor mir stand das unsichere Los der sowjetischen Kriegsgefangenschaft. (Fast 5 Jahre sollten es werden, was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußte.) Zum Glück war ich unverwundet geblieben.
Rückblickend sehe ich die Motivation der Küstrin-Verteidiger für die Fortsetzung des Kampfes auch in aussichtsloser Lage vor allem auf zwei Fakten basierend: Erstens in der Rettung der Zivilbevölkerung (Frauen, Kinder und Alte) vor der Roten Armee und zweitens in der Hoffnung, der gefürchteten sowjetischen Gefangenschaft zu entgehen.

Dem Autor dieses Buches seien zu diesem wichtigen Bericht folgende Ergänzungen gestattet:
  • In Drucksituationen konnten Einheiten Hilfe der "Stukas zu Fuß" anfordern. Z. B. mit ,,Drei Schuß Bölke!" Leutnant Bölke war ein Beobachtungsoffizier, der Hauptmann Langenhahn, dem Verbindungsoffizier zwischen Artillerie, Flak und der Kommandantur, unterstand.
  • Ich werde das Aufheulen der "Stukas zu Fuß" am 28.3. nie vergessen. An diesem Tage befand ich mich als Verwundeter im Keller des Hilfslazarettes in der Knaben-Mittelschule. In dem Inferno dieses Tages wirkte es wie ein wütendes Aufbäumen.
19 Vgl.
- Generalkommando XI. SS-Panzer-Korps vom 9.3.1945, Bericht über den Kampf der Festung Küstrin.
20 Vgl.
- Busse, a.a.O., S. 151.
- Guderian, Erinnerungen eines Soldaten, S. 386.
- Sawicki, Vor dem polnischen Staatsanwalt, S. 13, 24.
21 Vgl.
- Reinefarth, a.a.O.
22 Vgl.
- Scheel, Hauptstoßrichtung Berlin, S. 28, Faksimiledruck einer sowjetischen Zeichnung über die Erstürmung der Küstriner Neustadt.
23 Vgl.
- Tschuikow, a.a.O., S. 405.
- Reinefarth, a.a.O.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
24 Vgl.
- TM 3.2.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
- Thrams, a.a.O., S. 44-45.
25 Vgl.
- Reinefarth, a.a.O.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
26 Vgl.
- Gesprächsauskunft Willi Blattgerstel.
- MM und TM 2.2. bis 27.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
27 Vgl.
- Thrams, a.a.O., S. 69-79.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin, a.a.O.
- Der Räumungsbefehl stammt aus dem Privatarchiv Günter Naumann.
- Gesprächsauskunft Erwin Kruse.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Fritz Kohlase.
28 Vgl.
- Thrams, a.a.O., S.46.
- Kohlase, a.a.O., Brief Ewald Naumanns vom 6.2.1945.
- Feste Küstrin vom 18., 20. und 25.2.1945.
29 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Briefe Ewald Naumanns vom 8.2.1945.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
- Thrams, a.a.O., S. 45.
30 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Fritz Oldenhage.
- Gesprächsauskunft Erwin Kruse.
- Neues Deutschland vom 22.3.1985, Aussage Herbert Hepke.
31 Vgl.
- Bokow, a.a.O., S. 120-121.
- Tschuikow, a.a.O., S. 401-405.
- Feste Küstrin vom Februar und März 1945.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Hans Dahlmanns u. a. und Briefe Ewald Naumanns vom Februar 1945.
- Thrams, a.a.O.
- In Kietz zielten die sowjetischen Vorstöße auf die Südosthälfte des Stadtteils - sowohl auf die vorgeschobenen Stützpunkte, wie auf das Erreichen der Reichsstraße 1 und der Ostbahn - und erfolgten manchmal mit Unterstützung von Panzern und Selbstfahrlafetten. Bei einem abgewehrten Angriff zwischen der Rheinlandstraße (Deutschland-Siedlung) und beiderseits der nach Frankfurt führenden Bahnlinie verloren die Russen 3 Selbstfahrlafetten. [Auskunft Horst Schenke.]
32 Vgl.
- Gen.Kom. XI. SS-Panzerkorps vom 9.3.1945, Fragen für Verbindungsoffizier, WF-03/5085 Blatt 673-676.
- Feste Küstrin vom 28.2.1945.
- Gesprächsauskunft Walter Klingenberg, der nach dem Urlaub auf die Rückkehr zu seiner Einheit im inzwischen belagerten Küstrin bestanden hatte.
33 Vgl.
- TM 16.2.1945 Festungskommandant Küstrin.
- TM AOK 9 vom 23.3.1945.
34 Vgl.
- Bokow, a.a.O., S. 119-122. Bokow nannte 7.000 deutsche Verteidiger in der Neustadt.
- Generalkommando XI. SS-Panzerkorps vom 9.3.1945, Bericht über den Kampf der Festung Küstrin. In ihm wird die Kampfstärke der deutschen Verteidiger in der Neustadt mit 6.000 angegeben.
35 Vgl.
- Bokow, a.a.O., S. 121.
- Neuer Tag vom 12.3.1975, Kalenderblätter der Befreiung.
36 Vgl.
- Generalkommando XI. SS-Panzerkorps vom 9.3.1945, Bericht über den Kampf der Festung Küstrin.
- Gen.Kom. XI. SS-Panzerkorps, Fragen für Verbindungsoffizier.
37 Vgl.
- TM AOK 9 vom 2.3.1945.
- Fudel, a.a.O., 2. und 3.3.1945.
- Die Verteidigung dieses unsinnigen Frontvorsprunges kostete nicht zu rechtfertigende Verluste der hier eingesetzten Teile des Fahnenjunker-Regiments 1234. Von Feindangriffen überrollte deutsche Verwundete wurden später vielfach von Rotarmisten erschossen.
38 Vgl.
- MM und TM 4.3. bis 12.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Die Unterbrechung der Versorgungstrasse am 10.3. war zeitlich so gering, daß sie sich auf die allnächtlichen Versorgungsgeleite von Seelow her nicht auswirkte.
- Schrode, a.a.O., 4.3. bis 19.3.1945.
- Oder-Zeitung vom 20.3.1945.
39 Vgl.
- Gen.Kom. XI. SS-Panzerkorps, Fragen für Verbindungsoffizier.
- Lagekarte AOK 9 vom 22.2.1945.
40 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Helmut Schmidt, Hans Greiser und Dieter von Bötticher.
- MM 16.2., TM 12.3., MM 13.3., TM 13. und 14.3. Festungskommandant Küstrin.
41 Vgl.
- Vermerk über Ferngespräch der 9. Armee am 9.3.1945 mit Oberst Eismann, Abend-Orientierung, WF-03/5085 Blatt 661.
42 Vgl.
- TM 4.3. bis 6.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Bokow, a.a.O., S. 123. Allerdings irrt sich Bokow im Datum. Die von ihm auf den 7.3. datierten sowjetischen Aktivitäten fanden bereits am 6.3. statt.
43 Vgl.
- TM 7.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Der Kommandant der Festung Küstrin vom 9.3.1945, Gefechtsbericht über Kampfverlauf in Küstrin-Neustadt am 7.3. und 8.3.1945.
- Bokow, a.a.O., S.123, 124. Auch hier nennt Bokow ein falsches Datum, den 8. anstelle des 7. März.
- Anmerkung 18, Erlebnisbericht Günther Bielicke.
44 Vgl.
- Ebenda, aber ohne Anmerkung 18.
45 Vgl.
- TM 7.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Der Kommandant der Festung Küstrin vom 9.3.1945, Gefechtsbericht über Kampfverlauf in Küstrin -Neustadt am 7.3. und 8.3.1945.
- Reinefarth, a.a.O.
- Bokow, a.a.O., S. 124.
46 Vgl.
- Der Kommandant der Festung Küstrin vom 9.3.1945, Gefechtsbericht über Kampfverlauf in Küstrin-Neustadt am 7.3. und 8.3.1945.
47 Vgl.
- Der Kommandant der Festung Küstrin vom 9.3.1945, Gefechtsbericht über Kampfverlauf in Küstrin-Neustadt am 7.3. und 8.3. 1945.
- Bokow, a.a.O., S. 124, 128.
- Scheel, a.a.O., S. 28, Faksimiledruck einer sowjetischen Zeichnung über die Erstürmung der Küstriner Neustadt.
48 Vgl.
- TM 7.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
49 Vgl.
- Der Kommandant der Festung Küstrin vom 9.3.1945, Gefechtsbericht über Kampfverlauf in Küstrin-Neustadt am 7.3. und 8.3.1945.
- MM und TM 8.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Bokow, a.a.O., S. 124-127.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Hans Dalbkermeyer, Oscar Jessen, Alfred Kraus, Josef Stefanski und Horst Wewetzer.
50 Vgl.
- Bokow, a.a.O., S. 124-126, 202.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Adolf Fleischer, Hans Arlt und Johannes Diebe.
- Diebe, einer der Gefangenen der Infanterie-Kaserne, berichtet, daß am 12.3. 20 Blöcke zu 5 x 20 Mann abmarschiert seien. Wer von den Deutschen unterwegs schlappmachte, den erschossen die Rotarmisten.
- Gesprächsauskunft Hans Arlt. Dieser erfuhr von Gildina Filter, einer ehemaligen Küstrinerin, daß der als einer der härtesten Küstriner Kommandeure geltende Hauptmann von Oldershausen beim mißglückten Ausbruch aus der Infanterie-Kaserne gefallen sei.
51 Vgl.
- MM und TM 9.3. und 10.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- TM AOK 9 vom 10.3.1945, WF-03/5085 Blatt 700.
- Scheel, Hauptstoßrichtung Berlin, S. 28, Faksimiledruck einer sowjetischen Zeichnung über die Erstürmung der Küstriner Neustadt.
52 Vgl.
- Bokow, a.a.O., S. 129.
53 Vgl.
- Tschuikow, Das Ende des Dritten Reiches, in der Sonderausgabe Nr. 3 der Volksarmee vom 3.9.1964, S. 47.
- Oder-Zeitung, a.a.O., vom 16.3.1945.
- Küstrin zählte zu den wenigen Städten, deren Erstürmung das Oberkommando der Roten Armee während des Zweiten Weltkrieges zweimal durch Dankbefehl und Ehrensalut in Moskau würdigte.
54 Vgl.
- Vermerk über Ferngespräch General Krebs - General Kinzel vom 11.3.1945, WF-03/5085 Blatt 744.
55 Vgl.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
- Burzew, Einsichten, S. 275. Burzews Einordnung der Küstriner Ereignisse in die Berliner Angriffsoperation ist falsch. Diese begann in der zweiten April-Dekade, während Küstrin bereits am 30.3. fiel. Die Erstürmung der Oderfestung war lediglich die Ouvertüre zur Schlacht um Berlin.
- Bokow, a.a.O., S. 129, 130.
- Doernberg, a.a.O., S. 36.
56 Vgl.
- Bokow, a.a.O., S. 129.
- Doernberg, a.a.O., S. 33-36.
57 Vgl.
- Oder-Zeitung vom 28.2. und 21.3.1945. Bei den DRK-Helferinnen handelte es sich um die Schwestern Rhoma von Ceuern und Anna Wolschütz.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Fritz Kohlase.
58 Vgl.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
- Zur zunehmenden Gewissensnot befehlsgebender Offiziere Hans Dahlmanns über seinen Vater, in Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht H. D. sowie Sonja Klingsporn, geb. Napirala, in einer Gesprächsauskunft über ihren Ehegatten Willy, der als Leutnant seine 5. Verwundung in Küstrin erhielt und dadurch ein Auge verlor.
59 Vgl.
- Bokow, a.a.O., S. 130, 131.
60 Vgl.
- Befreier Freunde Kampfgefährten, S. 12, Faksimiledruck einer sowjetischen Zeichnung.
- Neuer Tag vom 22.2.1975, Kalenderblätter der Befreiung.
- Tschuikow, Gardisten auf dem Weg nach Berlin, S. 405.
61 Vgl.
- Tschuikow, a.a.O., S. 404.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Fritz Kohlase.
Der hier angeführte sowjetische Luftangriff vom 21. März kann als Beispiel dafür gelten, wie wichtige Vorkommnisse manchmal falsch von unten nach oben weitergemeldet wurden. So hieß es dazu in der TM des AOK 9 vom 21.3.1945 (WF-03/5086 Blatt 123): ,,Feindliche Luftwaffe griff mit starken Kräften (etwa 70 Maschinen) den Raum Alt Tucheband - Gorgast - Zechin - Golzow an." Der Autor war Zeuge des Angriffs und wurde vor dem Gut Alt Bleyen im freien Feld liegend vom Bomberverband überflogen. Einige Kameraden gaben das laute Zählen der Flugzeuge bei 200 auf, obwohl es noch nicht alle waren. Außerdem verursachte der hoch über uns hinwegziehende Verband mit seinem tiefen Brummen ein eigenartiges, ungutes Gefühl, weil auch an unserer Stelle ein Bombenwurf theoretisch nicht auszuschließen war. Teile der 2. Kompanie des Füsilier-Bataillons 303 versuchten damals, das vor dem Gut Alt Bleyen in Richtung Schäferei liegende und die Sicht nehmende Weidendickicht von der Südostseite her durch Abschneiden der Zweige mit Messern und Feldspaten flächenseitg zu verkleinern. Es war klare und damals weite und ungestörte Sicht in Richtung Gorgast. Wir sahen die Bomben beider Teppiche fallen und in der Luft blitzen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir geglaubt, es wären amerikanische Flieger auf dem Wege nach Berlin.
62 Vgl.
- TM AOK 9 vom 18.3. und 20.3.1945, WF-03/5086 Blatt 031 und 105.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Fritz Kohlase.
63 Vgl.
- TM AOK 9 vom 22.3. und 23.3.1945, WF-03/5086 Blatt 147-149, 172-174.
- Zobel, Die Brücke bei Golzow, in Kameraden 10-2004, S. 22-24.
- Schrode, a.a.O., 22.3.1945.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Fritz Kohlase.
- Befreier Freunde Kampfgefährten, S. 12, Faksimiledruck einer sowjetischen Zeichnung. Für den Raum des Gutes Alt Bleyen ist der eingezeichnete Frontverlauf vom 23.3. falsch. Das Gut blieb bis ausgangs 26.3. in deutscher Hand.
- Neuer Tag vom 21.2. und 24.2.1970, Vor 25 Jahren, und vom 22.3.1975, Kalenderblätter der Befreiung.
- Tschuikow, a.a.O., S. 404.
- Fudel, a.a.O.
- Die knappen Darstellungen der Ereignisse des 22.3.1945 in Gorgast, der Schäferei, in Alt Bleyen (dem ehemaligen Neu Drewitz) im Gut und der Kolonie Alt Bleyen, an der vordersten deutschen Linie bzw. deren Stützpunkten von der Nahtstelle südöstlich Gorgast bis zum Festungsbereich Küstrin und im Fort Gorgast veranlassen den Autor dieses Buches zu folgenden ergänzenden Anmerkungen 1. bis 9.:
  1. 1945 bestand vom Gut Alt Bleyen in Richtung Nord, West und Süd weite Sicht. Die Grabenstellung meiner Gruppe verlief grob parallel zur Gutsstraße zwischen Gut und Südostzipfel eines Weidendickichts. Dementsprechend war unser Sichtwinkel in Richtung Gorgast. Die Schäferei konnten wir nicht sehen, und meine Gruppe wußte nichts von ihr. Das Trommelfeuer am Morgen des 22.3. sparte uns aus und begann vielleicht 1.000 Meter vor uns. Als Zuschauer erlebten wir seine kurze Unterbrechung für Korrekturen, das Weitertrommeln und die Verlegung der Feuerwalze. Wir sahen sowjetische Infanterie in Angriffsformation und hinter ihnen in geschlossenen Kolonnen, unter ihnen Panjewagen. Die Richtung der von uns gesehenen Russen verlief von links nach rechts, d. h., von Ost nach West. Neben mir im Graben stand der Zugführer der Sturmgeschütze, der liebend gern mit seinen 3 StG in die geschlossenen Kolonnen gehalten hätte, aber nicht durfte; denn das Gut war eine Schweigestellung. Danach sahen wir bis zur Abenddämmerung in unserem Gesichtsfeld keinen Russen mehr. Aus den Richtungen Gorgast und Schäferei erklang heftiges Infanterie- und Geschützfeuer, das sich etwas verschob und erneut zu einer nicht sichtbaren Kanonade geringerer Stärke und kleinerer Fläche steigerte. Gegen Mittag war wieder kurzes rasendes Infanteriefeuer zu hören, wurde dann schwächer und endete mit einigen dumpfen Detonationen. [Erlebnisbericht Kohlase.]
  2. In der Abenddämmerung des 22.3. erreichte ein ungehindert aus Richtung Gorgast über das Feld - aber nördlich des Fahrweges von der Brücke - kommender SS-Mann die Stellung der 2. Kompanie des Füsilier-Bataillons 303 zwischen der Südostspitze des Weidendickichts und dem Gut Alt Bleyen - die von hier zum Oderdeich führte. Er war verwundet, stand unter Schock und berichtete: Als am Morgen der Feuerschlag begann, hätte sich seine Einheit befehlsgemäß zurückgezogen, um beim Vorverlegen des Artilleriefeuers zum Gegenstoß anzutreten. Im alten Graben wäre man auf den Gegner getroffen, hätte ihn geworfen und in seine Ausgangsstellung verfolgt, sei aber dort selbst eingeschlossen und nach Stunden vernichtet worden. Er wolle jetzt zum 1. Bataillon der SS-Leibstandarte "Adolf Hitler", das bei Wriezen liege, und sich dort melden. Er ließ sich von mir verbinden, etwas Brot und Wasser geben, erklären, daß sein Weg weiter in den Kessel führte, schwang sich trotz meiner Widerrede aus dem Graben und schritt ruhigen Schrittes in die gleiche Richtung aus der er gekommen war - Richtung Gorgast - zurück. [Erlebnisbericht Kohlase.]
  3. Die 25. Panz.Gren.Div. setzte in der 3. Februardekade 1 Bataillon zwischen der Reichsstraße 1 und dem Strom (Alte Oder) südsüdostwärts Gorgast und 1 weiteres Bataillon zwischen dem Strom und Küstrin-Kietz nördlich der Ostbahnlinie ein. Der Strom bildete die Nahtstelle zur Schlauchstellung. Nach dem Fall von Kietz in der ersten Märzdekade mußte die Verbindung zwischen HKL und Festungsbereich gestreckt werden; aufgrund der Länge nur in Form von Stützpunkten. Anzunehmen ist, daß diese Einteilung bei der Ablösung der 25. Panz.Gren.Div. Ende der zweiten Märzdekade beibehalten wurde.
  4. Beide Btl.Abschnitte (laut Ziffer 3) waren potentielle Durchbruchsstellen und mußten mit starken Feindangriffen rechnen. Dementsprechend fand die Dislozierung der II. Abt./Panz.Rgt. "Müncheberg" statt, deren 2. Kp. ohne ihren Sturmgeschütz-Zug in Gorgast lag. (Unverständlich bleibt, daß am 21.3. der Kommandeur des I. Btl./Panz. Gren.Rgt. "Müncheberg" 1 an einem derart gefährlichen Abschnitt den linken und vor allem seinen rechten Nachbarn, das II. Btl., weder kannte noch Minimalabsprachen führte oder führen ließ. Auch wenn sich im Raum Gorgast deutsche Panzer aufhielten, hätte er davon wissen müssen. [Fudel nach Schreiben Hackbarth.]
  5. Logisch erscheint die Annahme, daß eine russische Veröffentlichung über die Einnahme eines "Vorwerks" nach Herausfiltern üblicher Fehler aufgrund richtiger Indizien das Fort Gorgast betraf. Die erfolgreiche Einheit war das von Major Alexander Sitzew geführte 1. Btl./117 Schützen-Rgt. der 39. Garde-Schützen-Division, die dabei 365 deutsche Gefangene gemacht habe. [Fudel nach einem Artikel in der deutschsprachigen Internetzeitung von www.RUSSLAND.ru vom 06.05.2005 unter Bezug auf RIA - Novosti.]
  6. Logisch erscheint auch die Annahme, daß sich die Kompanien des I. Btl./Panz.Gren. Rgt. "Müncheberg"1 am 22.3. ohne Kenntnis ihres Bataillonsstabes zu Beginn des Trommelfeuers in das Fort Gorgast zurückzogen, zwei Angriffe abwiesen und beim dritten, nach Brandlegung mittels Ölfässern, kapitulierten. [Fudel nach Schreiben Hackbarth.]
  7. Falsch ist, daß sich die Stellungen der 4. Kp./I. Btl./Panz.Gren.Rgt. "Mücheberg" 2 an die des Füs.Btl. 303 anschlossen. Die 4. Kp. war keine Schützen- sondern eine schwere Kompanie, die mit ihren sMG und Granatwerfern (oder leIG?) zur Unterstützung im Gutsbereich eingesetzt war! [Erlebnisbericht Kohlase] Unverständlich bleibt, daß am Nachmittag des 22.3 der Kommandeur des I. Btl./Panz.Gren.Rgt. "Müncheberg" 2 zwei Melder in Marsch setzte, die seiner 4. Kp. im Gut Alt Bleyen und der 2. Kp. in Neu Bleyen den Befehl zum Absetzen überbringen sollten! Im Gut nahm der Führer ihrer 4. Kp. den Befehl entgegen, sagte ihnen aber, daß sich die Situation geändert habe, sie vollständig eingeschlossen seien und ab sofort zur Festung Küstrin gehörten. Beide Melder verblieben bei der 4. Kp. und erreichten ihre 2. Kp. in Neu Bleyen nicht. (Der Befehl war taktisch falsch und schädlich. Das Gut war der stärkste Stützpunkt der Schlauchstellung und ihr Zentrum. Bei einer Einschließung Küstrins war es für einen Entsatzangriff von außen äußerst wichtig. Nicht ohne Grund wurde es bis zum Abend des 26.3. verteidigt. Taktisch hatte sich hier die 4. (schw.) Kp. dem Befehl des Kommandeurs des Füs.Btl. 303 zu fügen! [Kohlase nach Gesprächsauskunft Gribkowski.]
  8. Das II. Btl./Panz.Gren.Rgt. "Müncheberg" 1 kam vom Wachbataillon der Leibstandarte "Adolf Hitler". Nach Ziffer 3 lag es zwischen dem Strom und dem Festungsbereich nördlich Kietz und westlich der Lünette D. Schwerpunkt war sein rechter Flügel. Mit dementsprechender Auswirkung auf den Stellungsausbau, die Länge der Kompanieabschnitte und die Manndichte/km. In Richtung Kietz bestand nur Verbindung über mehrere Hundert Meter entfernte Stützpunkte in einzelnen Gehöften. Sein letzter Stützpunkt am linken Flügel dürfte das größere Gehöft etwa 1 km nordwestlich Bahnhof Kietz an der Kaiserallee gewesen sein, wo diese von einer gedachten Linie vom Weinbergshof zum Gut Alt Bleyen geschnitten wird. Weiter östlich waren bereits Russen eingesickert. Laut TM Festungskommandant Küstrin ging das größere Gehöft am 23.3. verloren. Auf jeden Fall traf die Nahtstelle am 22.3. einer der massierten sowjetischen Stöße. Ziffer 1 und 2 erlauben den Schluß, daß die Kämpfe mit zweimaligen Nahkämpfen sehr verlustreich (Tote, Gefangene) waren. [Kohlase] Auch die nächste Annahme erscheint schlüssig, obwohl nicht belegt. Übriggebliebenen Teilen des II. Btl./Panz.Gren.Rgt. "Müncheberg" 1 gelang das Durchschlagen zur Festungsbesatzung Küstrin, deren Ende sie miterlebten. [Fudel]
  9. Mehr als einmal mußte ich feststellen, daß die Beurteilung der Stärke feindlichen Granatfeuers durch Zeitzeugen sehr unterschiedlich ausfällt. In der Nacht vom 19. zum 20.3.1945 geriet meine Kompanie in Gorgast in Störungsfeuer sowjetischer Artillerie. Eigentlich war es nur ein Feuerüberfall von vielleicht drei oder vier Lagen zu je vier Granaten. Ein gleichaltriger Kamerad beschrieb es später als fürchterlich. Die Richtigkeit der Beurteilung wird beeinflußt von Erfahrung, Art und Grad der Erlernung des Soldatenberufes sowie der inneren Einstellung zu ihm.
64 Vgl.
- TM AOK 9 vom 23.3. und 24.3.1945, WF-03/5086 Blatt 172-174, 196-197.
- Schrode, a.a.O., 23.3.1945.
- Befreier Freunde Kampfgefährten, S. 12, Faksimiledruck einer sowjetischen Zeichnung.
- Neuer Tag vom 25.2.1970, Vor 25 Jahren, und 22.3.1975 Kalenderblätter der Befreiung.
- Fudel, a.a.O.
65 Vgl.
- MM und TM 24.3., 25.3., 26.3. und 27.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Fritz Kohlase.
- Lagekarte AOK 9 vom 22.2.1945, in Thrams, a.a.O.
- Averdieck, Geschichte des Panzergrenadier-Regiments 90 im Kriegsjahr 1945.
Dazu folgende Anmerkungen:
1) Die hier gemachten kurzen Ausführungen zum Gut Alt Bleyen sind nicht richtig. Späteres Quellenstudium ist falsch wiedergegeben.
2) Sie zeigen aber den schlechten Informationsstand und -austausch auf der Ebene der deutschen Korps-, Divisions- und Regimentsstäbe, die in der letzten Märzdekade 1945 im Raum Küstrin handelten.
- Seit 2008 gibt es Veröffentlichungen, die die endgültige Einschließung Küstrins auf den 23.3.1945 datieren. Diese Angabe ist falsch!
66 Vgl.
- TM AOK 9 vom 24.3. und 27.3.1945, WF-03/5086 Blatt 196-197, 292-293.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Fritz Kohlase.
- Bokow, a.a.O., S. 132, gibt an, daß zur Abwehr des deutschen Entsatzangriffs vom 27.3. die 5. Stoß-Armee ihre 94. Garde-Schützen-Division aus der Reserve in den Brückenkopf eingeführt und dadurch die russische Kräfteüberlegenheit wiederhergestellt habe.
67
- Privatarchiv Günter Naumann.
68
- Ebenda.
69 Vgl.
- MM und TM 27.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
70 Vgl.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Hans Dahlmanns, Hans Kirchhof, Fritz Kohlase und Brief H. Kerckhoff.
71 Vgl.
- Tschuikow, a.a.O., S. 405-406.
72
- Ebenda, S. 406-407.
73 Vgl.
- MM und TM 28.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
- Kohlase, a.a.O., S. 304-311, Erlebnisberichte Hans Dahlmanns, Rudolf Dawidowski, Oscar Jessen, Fritz Kohlase, Horst Wewetzer, Brief H. Kerckhoff und Gesprächsauskunft eines namentlich nicht bekannten Nachrichtensoldaten aus der Mittelschule.
74 Vgl.
- MM und TM 28.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
- Kohlase, a.a.O., S. 304-311, Erlebnisberichte Oscar Jessen, Ernst Müller, Josef Stefanski, Horst Wewetzer und Briefe H. Kerckhoff, Fritz Quast, K. Wünsche, Unbekannt an Fräulein Zorn und Gesprächsauskunft eines namentlich nicht bekannten Nachrichtensoldaten aus der Mittelschule.
75 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Erich Bölke, Hans Dahlmanns, Erlebnisbericht Oscar Jessen, Hans Kirchhof, Fritz Kohlase, Ernst Müller, Josef Stefanski, Horst Wewetzer und Briefe H. Kerckhoff, Fritz Quast, K. Wünsche und Unbekannt an Fräulein Zorn.
- Tschuikow, Das Ende des Dritten Reiches, in der Sonderausgabe Nr. 3 der Volksarmee vom 3.9.1964, S. 51. Die hier genannten 1.760 Gefangenen allein des Regimentes Plekin in der Altstadt erscheinen in der Höhe stark übertrieben; auch unter der Berücksichtigung, daß sie die nicht gehfähigen Verwundeten der beiden Lazarette in der Altstadt enthalten. In einer Buchausgabe des Jahres 1976, Berlin (Ost), sind sie nicht mehr enthalten.
- Einige Ereignisse der Aufgabe der Küstriner Altstadt führten zu den Legendenbildungen 1. bis 3.:
  1. Die von Hauptmann d. R. Tamm in der Nacht vom 28. zum 29.3.1945 mit den Russen ausgehandelte Kapitulation für den ihm unterstehenden Volkssturm in der Küstriner Altstadt wurde nach dem Krieg als Kapitulation der Festung Küstrin dargestellt. Nicht von sowjetischer Seite! Von Deutschen! Hauptmann d. R. Tamm hatte in einer von ihm nicht verursachten und aussichtslosen Situation der ihm unterstehenden Teile des Volkssturms verantwortungsvoll und richtig gehandelt. Die Restbesatzung Küstrins konnte er nicht vertreten. Sie kämpfte unter der Führung des Festungskommandanten auf dem linken Oderufer weiter und bereitete ihren Durchbruch zur deutschen HKL vor, der in der Nacht vom 29. zum 30.3. erfolgte. Bedauerlicherweise wurde die Falschdarstellung von einigen Autoren in Deutschland und Polen übernommen.
  2. Seit dem Kriegsende kursiert bis heute die Behauptung, daß der Festungskommandant von Küstrin, Heinz Reinefarth, bevor die Rote Armee die Stadt erobern konnte, sich mit seinem Stab abgesetzt habe. Diese Aussage entspricht nicht den Tatsachen!
  3. Die Erstürmung der Küstriner Altstadt verlief am Ende anders, als von Generaloberst Tschuikow geplant und in der genannten DDR-Ausgabe geschildert wurde!
76 Vgl.
- Reinefarth, a.a.O.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Erich Bölke.
77 Vgl.
- Reinefarth, a.a.O.
- TM 29.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
78 Vgl.
- Horn, Wanderer zwischen drei Welten.
79 Vgl.
- AV HGW vom 29.3.1945 - 12.45 Uhr, RH19XV.
- TM AOK 9 vom 29.3.45, WF-03/5086 Blatt 337.
80 Vgl.
- Reinefarth, a.a.O.
- TM 29.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- Kohlase, a.a.O., Der Versuch einer Klärung der Ereignisse beim Ausbruch der Küstriner Restbesatzung, Erlebnisberichte Erich Bölke, Ernst Müller und Horst Wewetzer.
81 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Der Versuch einer Klärung der Ereignisse beim Ausbruch der Küstriner Restbesatzung, Erlebnisberichte Erich Bölke und Ernst Müller.
82 Vgl.
- Reinefarth, a.a.O.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisberichte Erich Bölke, Dieter von Bötticher, Rudolf Dahlmann, Hans Dahlmanns, H. Kerckhoff, Hans Kirchhof, Fritz Kohlase, Ernst Müller, Josef Stefanski, Horst Wewetzer, Fritz Wollank und K. Wünsche. Der Autor dieses Buches war der verwundete ROB-Gefreite, der wahrscheinlich als letzter der Eingeschlossenen in Gefangenschaft geriet. Zusammen mit dem Obergefreiten Klaus Kothe hatte er auf einer Sandbank im Oder-Vorflutkanal halb im Wasser liegend und sich tot stellend den 30. März vom Morgengrauen bis zur Nachtdunkelheit verbracht. Der in der Nacht zum 31.3. versuchte Durchbruch zur deutschen HKL führte nur bis zur Straße Gorgast - Genschmar beim Tannenhof und schlug fehl.
83 Vgl.
- Bokow, a.a.O., 131-132.
84 Vgl.
- Die Verlustangaben basieren auf persönlichen Schätzungen des Autors, der neben weiteren Unterlagen die folgenden benutzte:
- Reinefarth, a.a.O.
- Der Kreisleiter des Kreises Küstrin-Königsberg, a.a.O.
- Der Kommandant der Festung Küstrin vom 9.3.1945, Gefechtsbericht über Kampfverlauf in Küstrin-Neustadt am 7.3. und 8.3.1945.
- Bericht des Generalkommandos XI. SS-Panzer-Korps vom 9.3.1945 über den Kampf der Festung Küstrin, WF-03/5085 Blatt 669-672.
- Gen.Kom. XI. SS-Panzerkorps vom 9.3.1945, Fragen für Verbindungsoffizier, WF-03/5085 Blatt 673-676.
- Bokow, a.a.O., S. 126. Die Angaben dürften überhöht sein. Offenbar bezog er hier 600 deutsche Zivilisten mit ein, eine von der Roten Armee nicht selten geübte Praxis.
- MM und TM 2.2. bis 30.3.1945 Festungskommandant Küstrin.
- TM AOK 9 vom 27.3.1945, WF-03/5086 Blatt 292.
- Kampfgruppe "1001 Nacht" vom 30.3.1945, Bericht über den Verlauf des Angriffs am 27.3.1945 auf Genschmar.
- MM, TM und AV AOK 9 und HGW Februar und März 1945.
- Vortragsnotiz für OB HGW vom 1.4.1945.
- Schrode, a.a.O., Meldung 25. Panz.Gren.Division vom 1. April 1945.
- Zusammenstellung HGW vom 15.4.1945 über Gesamtverluste, WF-03/5087 Blatt 1728-1730. Dabei erfolgte durch den Autor für seine Berechnung folgende Veränderung: Von den Vermißten wurden 1/3 als Tote und 2/3 als Gefangene gerechnet.
- Oder-Zeitung vom 2. und 9.3.1945.
- Neuer Tag vom 21.3.1975 und 1.4.1985.
85 Vgl.
- Kohlase, a.a.O., Erlebnisbericht Erich Bölke.
- Horn, Wanderer zwischen drei Welten.
- Reinefarth geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft und gehörte zu den ausgewählten Generälen, deren Erfahrungen sich die USA schriftlich hinterlegen ließen. Anschließend den Briten übergeben, lehnten diese die Auslieferung des auf der polnischen Kriegsverbrecherliste stehenden an Polen ab und erklärten ihn durch eine Untersuchungskommission für unschuldig. Danach amtierte Reinefarth von 1951 bis 1964 als Bürgermeister des Badeortes Westerland auf der Insel Sylt. (Sawicki, Vor dem polnischen Staatsanwalt, S. 13, 24.) (Ohl, Der Kommandant, S. 33, 36.)
86 Vgl.
- Lausitzer Rundschau, Cottbus vom 25.6.1998.
- Der Tagesspiegel, Berlin 1999 und 7.9.2003.


  

kohlase4neu med

Der Artikel ist dem Manuskript (Erarbeitungsstand 01.05.2011) der 2. Auflage des Buches Brennendes Oderland  entnommen.

Fritz Kohlase, Brennendes Oderland, überarbeitete und erweiterte 2. Auflage (Zusammenfassung der Bände 1-4), 500 Seiten, 25 Karten, 32,00 Euro* zzgl. Versandkosten, Festeinband, Leinen.
Dezember 2011 erschienen.

* Es erfolgt kein Ausweis der Umsatzsteuer aufgrund der Anwendung der Kleinunternehmerregelung gem. § 19 UStG.

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Horn, Wanderer zwischen drei Welten

 

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